TÓTEM – eine Familie in der Krise

Nach„Das Zimmermädchen“ aus dem Jahre 2018 ist TÓTEM der zweite Spielfilm der mexikanischen Regisseurin Lila Avilés. Im Mittelpunkt des fein beobachteten, berührenden Films steht eine Familie in der Krise.   

Die Handlung erstreckt sich etwa über einen Tag. Tona (Mateo Garcia) ist ein begabter junger Maler, der an Krebs sterben wird. Seine Großfamilie und seine Freunde bereiten zu seinem 27. Geburtstag eine große Party in seinem Haus vor, um trotzig sein Leben zu feiern. Vielleicht wollen sie aber auch nur die Misere des bevorstehenden Tods nicht wahrhaben wie auch die Tatsache, dass diese letzte große Anstrengung für Tona, an einer Party zu seinen Ehren teilzunehmen, ihn umbringen kann. 

Avilés erzählt die Geschichte sensibel in weiten Teilen aus der Sicht von Tonas kleiner Tochter Sol (Naima Senties). Tona selbst ist in der ersten Hälfte des Films nicht zu sehen, da er sich in einem Hinterzimmer aufhält, zu dem mit Ausnahme seiner Pflegerin niemand Zutritt hat. Auch die Bitte der Tochter, den Vater sehen zu dürfen, weist er ab. Das verwirrt die siebenjährige Sol, die den Tag damit verbringt, allein durch das Haus zu streifen, im Wohnzimmer eine Kissenburg zu bauen oder im Garten Schnecken zu sammeln, mit denen sie die Bilder an der Wand im Wohnzimmer dekoriert.

Manchmal habe sie das Gefühl, vertraut sie der Pflegerin in einer Szene an, ihr Vater liebe sie gar nicht, wenn er sagt, dass er sie nicht sehen wolle. Eine klare Antwort auf ihre Fragen zur Situation ihres Vaters erhält Sol von den Erwachsenen nicht, die irgendwann anfangen, in einer merkwürdig deformierten Sprache zu reden, wenn es um Tonas Entscheidung geht, die Chemotherapie abzubrechen. Und so muss Sol ihrem Telefon tiefgründige Fragen stellen, zum Beispiel, wann die Welt untergeht und ob ihr Vater überleben wird.

Sol wartet darauf ihren Vater sehen zu dürfen
© Limerencia Films

Derweil beschäftigen sich die verschiedenen Familienmitglieder mit ihren Vorbereitungen für die Party, üben sich dabei in allerlei Vermeidungs- und Verdrängungsaktivitäten, die es ihnen ermöglichen, von der schrecklichen Wahrheit wegzusehen. Da ist Tonas Schwester Nuria (Montserrat Marañon), die ziemlich gestresst ist, weil der Kuchen, den sie backen muss, ihr nicht recht zu gelingen scheint. Es gibt auch Spannungen mit Tonas anderer Schwester Alejandra (Marisol Gasé) wegen Nurias Alkoholkonsum.

Tonas Vater Roberto (Alberto Amador) ist Psychotherapeut und hat eine Praxis im Haus der Familie. Er hat offensichtlich eine Kehlkopfkrebserkrankung überstanden und ist bestürzt, dass seine Kinder eine Geistheilerin ins Haus geholt haben, die die Energie des vermeintlich schlechten Karmas vertreiben will, indem sie mit einem brennenden Stock herumfuchtelt und exorzistisch rülpst. Die Geschwister können sich nicht entscheiden, ob Tona mehr Morphium verabreicht werden soll, das zwar gegen die Schmerzen hilft, aber Denkstörungen hervorruft und auf jeden Fall teuer ist. Wer soll das bezahlen? Auch Tonas Vater hat das Geld nicht. Allein Lucia (Iazua Larios), Tonas Partnerin und Sols Mutter, hält alles zusammen.

Erst in der zweiten Hälfte tritt Tona wirklich in Erscheinung: eine schmächtige Person, die nicht über ihre Gefühle spricht und den Weg zu ihren Gästen nach draußen erst im zweiten Anlauf schafft. Eine Himmelslaterne, die symbolisch vom Garten aus gestartet wird, fängt Feuer, ohne dass dies ernsthafte Folgen hätte. Schließlich tritt Sol mit ihrer Clownsperücke auf und trägt mit ihrer Mutter Lucia ein Lied vor.    

Aber eigentlich passiert nichts Bedeutendes. Das heißt: Nichts ist wirklich von Bedeutung im sicheren Angesicht von Tonas bevorstehendem Tod und der Liebe, die seine Familie und seine Freunde für ihn empfinden und die bleiben wird. Ein gefühlvolles Drama, dessen Herzschmerz sich echt anfühlt und tief berührt.

Der Film TÓTEM ist ab 9. November in ausgewählten Kinos zu sehen

Standardbild
Hans Kaltwasser
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