Klassischer iranischer Tanz Ressource für die empirische Ästhetik

Der klassische iranische Tanz ist für das internationale Publikum kaum sichtbar, da er seit der Islamischen Revolution 1979 im Iran hauptsächlich im Untergrund und in der Diaspora praktiziert und weiterentwickelt wird. Insbesondere für Frauen ist Tanzen im Iran heutzutage nur sehr eingeschränkt möglich. Tanzförderung erfolgt nicht in der gleichen Weise wie in westlichen Ländern. Ein interdisziplinäres Forschungsteam am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main hat sich, in Zusammenarbeit mit der Shahrzad Dance Academy, San Franzisco, USA, dieses Tanzstils angenommen und einen Artikel dazu im Fachjournal Annals of the New York Academy of Science veröffentlicht.

Der Artikel ist Teil der Ergebnisse eines größeren Projekts iranischer Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen sowie Forscherinnen des MPIEA. Er beschreibt die Ästhetik, Charakteristika und Geschichte des klassischen iranischen Tanzes und behandelt das Genre als wichtige Ressource für die empirische Ästhetik in der Tanzforschung.

„Der klassische iranische Tanz hat aus wissenschaftlicher Sicht viel zu bieten – nicht nur für die Kunst– und Kulturwissenschaften, sondern auch für Disziplinen wie die empirische Ästhetik, die Emotionspsychologie, die interkulturelle Psychologie oder die affektiven Neurowissenschaften“, erklärt Erstautorin Julia F. Christensen vom MPIEA. „Sowohl der historische und soziokulturelle Kontext als auch die Charakteristika und die Ästhetik der Bewegungen machen diesen Tanzstil zu einer vielversprechenden Ressource für die empirische Forschung“.

Auf Grundlage zahlreicher Primär- und Sekundärquellen skizzieren die Forscherinnen seit 2017 verschiedene empirische Perspektiven. Hierfür trugen sie sowohl historische Originaldokumente wie Autobiographien und Zeitungsartikel als auch die Bandbreite der vorhandenen Forschungsliteratur zusammen. Darüber hinaus führten sie 17 Expert:innennterviews mit Forscher:innen und Tänzer:innen des iranischen Tanzens.

„In diesem Artikel kommen historische Ausführungen, soziale und politische Aspekte des Themas, Erfahrungen aus der künstlerischen Praxis und Ideen für empirische Forschungen auf geradezu ideale Weise zusammen. Das ist sehr besonders und insofern ein Idealbeispiel für eine interdisziplinäre empirische Ästhetik“, schildert Co-Autorin Melanie Wald-Fuhrmann, Direktorin am MPIEA.

Während der Forschungsarbeit wurde deutlich, dass das klassische westliche Ballett und der klassische iranische Tanz einige interessante historische Gemeinsamkeiten haben, auch wenn die Tanzbewegungen sehr unterschiedlich sind. So wurden beide Tanzstile beispielsweise im 15. und 16. Jahrhundert an königlichen Höfen praktiziert und waren ein wichtiger Teil der höfischen künstlerischen Aktivität – das westliche Ballett am französischen Hof, der klassische iranische Tanz am Hof ​​der Safaviden und später der Qadscharen.

Choreographin und Mitautorin Shahrzad Khorsandi beschreibt: „Der klassische iranische Tanz ist anmutig und fließend. In seinen komplexen Bewegungsmustern nutzt er Rhythmus und Puls. Man sieht die Beziehung zwischen Gesicht und Händen und die fließenden Übergänge zwischen den Bewegungen, die teils von persischen Miniaturmalereien inspiriert sind. Die Fußmuster geben meist den Rhythmus vor.“

Als Teil des gesellschaftlichen Lebens und der kulturellen Bildung ist Tanzen ein wichtiger Teil aller Gesellschaften. Mit ihrer Arbeit wollen die Forscherinnen einen Beitrag dazu leisten den klassischen iranischen Tanz für die Zukunft zu sichern. Sie sind davon überzeugt, dass internationale, interdisziplinäre Forschungsteams einen Teil dazu beisteuern können, indem sie dieses Genre fest in der empirischen Forschung zum menschlichen Tanz verankern.

Der klassische iranische Tanz im Fokus | Quelle: Foto: Carl Sermon and Ma’Shuqa

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Ingrid
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