CRIMES OF THE FUTURE – Filmtipp

Unsere Haut, die unseren Körper, unsere Organe und Muskeln schützend umschließt, verwehrt den Blick auf das Innere. Nur ausschließlich Ärzte und Gelehrte waren lange Zeit in der Lage, sich ein Bild vom Inneren des Menschen zu machen. Mit der Erfindung der Röntgenstrahlen, der Entwicklung der Endoskopie und der Möglichkeit, neurologische und andere körperliche Prozesse in Echtzeit zu betrachten und zu speichern, verändern sie auch die Sichtweise auf unseren Körper. Der Science-Fiction-Film CRIMES OF THE FUTURE vom Meister des Körperhorrors, David Cronenberg, bricht diese Sichtweise um einige Horrorszenen mehr.

Nicht nur, dass die Organe des Menschen kein unsichtbares Geheimnis mehr sind, sondern die Menschen haben sich in seinem Film evolutionär so weit verändert, dass manche neue Organe entwickeln. Ein Veränderungsprozess der als „beschleunigtes- Evolutions-Syndrom“ (Accelerated Evolution Syndrome) bezeichnet wird.

Auch der Performance-Künstler Saul Tenser (Viggo Mortensen) leidet darunter. Er hat sein Leiden gemeinsam mit seiner Partnerin Caprice (Léa Seydoux) zur Kunst erhoben und lässt seine zusätzlichen Organe von Caprice und einem technischen, eklig aussehenden Operationsgerät entfernen. Diese Operationen werden gefilmt oder sie sind live in einer Show erlebbar.

Caprice (Léa Seydoux) und Saul Tenser (Viggo Mortensen)
© 2022 SPF (Crimes) Productions Inc. & Argonauts Crimes Productions S.A., Photo Credit Nikos Nikolopoulos

Nach einer dieser Shows wird Saul von Lang Dotrice (Scott Speedman) angesprochen, der dem Künstler anbietet, eine Obduktion an seinem achtjährigen Sohn durchzuführen. Der Junge wurde von seiner Mutter getötet, die ihn als Kreatur empfunden hatte und nicht als Mensch. Denn er konnte Plastik essen aufgrund seines säurehaltigen Speichels, der den Kunststoff auflöst. Ein Anpassungsprozess an eine plastikverseuchte Umwelt, die vom Vater des Jungen noch vorangetrieben wird.

An anderer Stelle gibt es ein Paar Regierungsagenten (Kristen Stewart, Don Seydoux),

Der Film besitzt eine düstere Atmosphäre, hat kaum Licht, verstört mit tristen und kahlen Räumen und großen, dunklen Lagerhallen, in denen die Kunstprojekte und Performances stattfinden. Untermalt werden die dystopischen Bilder von zerhackten und depressiv grundierten Tönen. Seltsame Möbel stehen herum, die wie große oder kleine Tiere aussehen und Geräusche ausstoßen. Auch der Sex hat sich verändert und Schmerzen empfinden nur noch wenige Menschen.

Die Botschaft des Films scheint über diesen beeindruckenden Körperhorror hinaus zu sein: Technischer Fortschritt ist nur dann einer, wenn zugleich der menschliche Körper, ja der Mensch ein anderer wird. Zumindest wäre dann eines unserer Probleme beseitigt. Plastik gäbe es nicht mehr, denn wir könnten ihn ja essen und verdauen.

„Für mich ist Technologie immer eine Erweiterung des menschlichen Körpers, auch wenn das sehr mechanisch oder unmenschlich erscheint. Eine Faust wird durch einen Knüppel oder einen Stein, den man wirft, verstärkt – aber letztlich ist dieser Knüppel oder Stein eine Erweiterung einer Kraft, die der menschliche Körper bereits besitzt. An diesem kritischen Punkt der Menschheitsgeschichte stellt sich die Frage: Kann sich der menschliche Körper weiterentwickeln, um Probleme zu lösen, die wir geschaffen haben?“ Zitat Cronenberg

Aber irgendwie liegt der Regiesseur damit falsch. Wir sind heute schon, ohne solche körperlichen Anpassungsprozesse in der Lage, Plastik zu vermeiden. Da braucht sich der Körper nicht zu verändern, sondern ein besonderes Organ, zu dem der Film Gottlob keinen Zugriff zeigt, das Gehirn. Und Investitionen, solche Technik voranzutreiben.

CRIMES OF THE FUTURE ist Horrorfilm und groteske Komödie zugleich, in der ökologisch günstige, menschliche Anpassungsprozesse und grenzenlose Kunstbegriffe nebeneinander stehen. Und deshalb ist CRIMES OF THE FUTURE sogar ein guter Film.

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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