Heute befinden wir uns inmitten eines Hypes um die sprachliche und intellektuelle Kompetenz von KI-Systemen wie ChatGBT. In der Antike ging es darum, Reden an das Volk rethorisch perfekt zu gestalten. Der römische Kaiser Nero nutzte dafür die Fähigkeiten des römischen Philosophen Seneca, der dadurch auch zum Senator aufgestieg. Der Film SENECA beginnt mit einer Szene, die Nero und den Philosophen dabei zeigt, wie sie an der Rhetorik Neros feilen. Dass Seneca damit den Aufstieg Neros zum Kaiser festigte, ist bekannt.
Der Regisseur Robert Schwentke verwendet in seinem Film SENECA Originalverse des Lehrers, der mit seiner intellektuellen Überlegenheit dem Despoten zunehmend auf die Nerven geht. Man sieht Nero während seiner ausschweifenden Feste, in denen er Ringkämpfe veranstalten ließ und das tödliche Ende eigenhändig herbeiführte. Als Nero seine Mutter auf brutale Weise tötet, wendet sich Seneca zwar erschüttert ab, versucht aber nicht, ihn daran zu hindern.
Wenn Reden und Taten auseinanderklaffen
Und der Philosoph, bekannt für seine großen Reden über Verzicht und Milde, gehört selbst zu den reichsten Männern im antiken Rom. Er lässt für Freunde kleine Theaterstücke aufführen mit absurdem, durch die griechische Mythologie genährten Inhalt. Die Darbietungen schockieren, denn sie sind manchmal blutrünstig. In den Augen Senecas musste niemand den Tod fürchten. Wortgewandt und tiefgründig begründete er seine Einsichten gegenüber seinen Freunden.
Bis ihn eines Tages sein eigenes Todesurteil ereilt. Überbracht von einem besonders pflichtbewussten und tötunsgbereiten Gesandten mit Namen Felix (der Glückliche). Ist der Tod möglicherweise eine glückliche Fügung? Im antiken Rom war Selbsttötung ehrenhaft. Doch gelingt es dem alternden Philosophen, der gleichermaßen bekannt für seine philosophischen Ausschweifungen und spitzzüngigen Lektionen ist, auch Theorie in Praxis zu übersetzen?
Regisseur Robert Schwentke zeigt in seinem Film SENECA die Herausforderungen, die unter der Herrschaft eines Despoten auch das Rückgrat eines Philosphen brechen, der auffällig einen Hiatus zwischen seinen Reden und seinen Taten offenbart.
Menschenunwürdige Bezüge zur heutigen Realität werden in einigen Szenen des Films deutlich. So etwa, wenn es für Seneca keine würdige Beerdigung gibt, sondern ein Massengrab seine letzte Stätte wird, in das er mit seinen Mitverschwörern von einem Bagger geschoben wird.
Wie nicht anders zu erwarten beeindruckt John Malkovich in der Rolle des Seneca. Auch das weitere hochkarätige Ensemble mit Neuentdeckung Tom Xander als Herrscher Nero, Geraldine Chaplin, Julian Sands, Mary-Louise Parker, Louis Hofmann, Lilith Stangenberg und Alexander Fehling punktet mit soliden Leistungen.
SENECA ist ein Film, der auf jeden Fall beeindruckt, polarisiert und zum Nachdenken anregt. Unbedingt sehenswert!
Kinostart: 23. März 2023