Kenneth Branaghs „Tod auf dem Nil“

Mit „Mord im Orientexpress“ gelang Kenneth Branagh 2017 eine kommerziell erfolgreiche Verfilmung des Agatha-Christie-Bestsellers. Jetzt legt er mit TOD AUF DEM NIL nach, der heute mit erheblicher coronabedingter Verspätung in die Kinos kommt.

Der Film ist ein klassischer Krimi über schreckliche Morde auf einem Raddampfer, der mit einer illustren Hochzeitsgesellschaft gemächlich auf dem Nil flussabwärts tuckert. Wie üblich in den Romanen Christies hat so gut wie jeder ein Motiv. Der erneut von Branagh gespielte Hercule Poirot, der sich unter den Hochzeitsgästen befindet, muss deshalb wieder einmal seinen messerscharfen Verstand aufbieten, um den kniffligen Fall zu lösen. Er befragt die Verdächtigen, überwacht die Lagerung der Leichen in der Tiefkühltruhe der Schiffsküche und entlarvt zu guter Letzt den Mörder. 

Das Drehbuch von Michael Green hat der Geschichte eine Reihe Erfindungen hinzugefügt. Einige Figuren wie die amerikanische Jazzsängerin Rosalie Otterbourne (Sophie Okonedo), deren Nichte und der von Ali Fazal gespielte zwielichtige Vermögensverwalter Andrew Katchadourian sind People of Colour. Zudem enthüllt eine schwungvolle Vorgeschichte, die Poirot in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs zeigt, nicht nur, dass der selbstgefällige Detektiv einmal von einem einfachen Leben als Bauer geträumt hat, sondern auch, warum er diesen merkwürdig gezwirbelten Schnurrbart trägt.  

Filmstill ©The Walt Disney Company Germany GmbH

Gal Gadot spielt die Hauptrolle der Linnet Ridgeway-Doyle, einer millionenschweren Erbin und Dame der Gesellschaft, die ihrer ehemaligen Freundin Jacqueline de Bellefort, genannt Jackie, (Emma Mackey) den aus bescheidenen Verhältnissen stammenden, gutaussehenden Simon Doyle (Armie Hammer) ausgespannt hat. Jackie, die sich verständlicherweise darüber ärgert, dass ihr reicheres, glamouröseres Gegenstück ihre wahre Liebe gestohlen hat, folgt den glücklichen Neuvermählten in die Flitterwochen nach Ägypten. Sie taucht immer mal wieder plötzlich auf und lächelt dabei bösartig. Eigentlich sind das eher harmlose Schikanen, aber Linnet und Simon reicht das. Um der lästigen Stalkerin zu entkommen, mieten sie den bereits erwähnten Dampfer und nehmen ihre Hochzeitsgesellschaft einschließlich Poirot mit. Doch Jackie lässt sich nicht abschütteln und steigt unterwegs an Bord, während der Dampfer unterhalb der Felsentempel von Abu Simbel anlegt. 

Filmstill zeigt Gal Gadot als Linnet Ridgeway-Doyle ©The Walt Disney Company Germany GmbH

Nach dem ersten Mord nimmt der Film anders als Dampfer dann allmählich Fahrt auf. Poirot beginnt seine Ermittlungen und schon bald zanken die Gäste miteinander. Die offensichtlichsten Verdächtigen haben alle felsenfeste Alibis. Alle anderen könnten es gewesen sein. Aber würden sie es auch tun?

Die Antwort im Originalroman lautet kurz und knapp: Ja. Christie ist eine unübertroffene Meisterin der langsamen Enthüllung. Seite für Seite kommt sie der schmutzigen Verbindung zwischen den einzelnen Figuren und ihren Opfern auf die Spur. Aber in Branaghs TOD AUF DEM NIL tragen die Gäste ihre Motive fast von Anfang an auf der Zunge, was die Spannung stark beeinträchtigt. Stattdessen erhält der Zuschauer als Ausgleich mehr Gewalt, mehr Nebenhandlungen und mehr Hintergrundgeschichten.

Außerdem sehen wir Godot in ein paar hübschen Abendkleidern sowie eine Reihe weitläufiger CGI-gerenderte Bildschirmschoner-Kulissen, die an die schönsten Sandalenfilme aus einer ganz anderen Zeit erinnern. Visuell fühlt sich Branaghs Ägypten an, als könnte die Kamera mit einem weiteren Schwenk nach links Charlton Heston erfassen, wie er auf seinem Streitwagen um den 20 Meter hohen und 30 Meter breiten Nachbau der Abu Simbel-Tempel aus Polystyrol und Gips herum gesaust kommt.

In dieser Hinsicht ist Branaghs TOD AUF DEM NIL sicherlich ein Kind seiner Zeit. Subtilität ist keine Option; mehr ist fraglos eben mehr. Poirot hat es in den anderen Romanen Christies wahrlich mit weitaus finsteren Widersachern zu tun gehabt als mit einer Handvoll Filmemacher. Mögen diese ihr Unwesen weiterhin treiben. Hercule Poirot und seine Schöpferin Agathe Christie werden sie überleben. Auch die nächste Christie-Verfilmung durch Kenneth Branagh.    

Fotos: ©The Walt Disney Company Germany GmbH

Standardbild
Hans Kaltwasser
Artikel: 432

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.