Ich bin Anna – Roman von Tom Saller

Anna, Annerl oder Annaich – das sind die Namen der jüngsten Tochter des berühmten Arztes und Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Anders als ihre Schwester Sophie, die der Augenstern des Vaters ist, nimmt sie dennoch eine besondere Stellung innerhalb der Geschwisterreihe ein. Der Autor, Psychiater und Tiefenpsychologe Tom Saller lässt seinen Roman „Ich bin Anna“ in Wien im Winter 1917/18 beginnen.

Es ist Kriegszeit und Anna arbeitet 22-jährig als Lehrerin in dem Lyzeum, das sie selbst als Schülerin besucht hat. Das Unterrichten macht ihr Spaß, doch sie ist sehr empathisch und die Nahrungsmittelknappheit und Bedürfnisse ihrer Zöglinge nehmen sie sehr mit. Ohnehin nicht mit einer robusten Gesundheit gesegnet, geht es ihr häufig schlecht. Ihr Vater sorgt sich um sie. Auch ihre libidinöse Entwicklung macht ihm Sorgen. Anders als Sophie schert Anna sich nicht um ihr Äußeres, junge Männer scheinen sie nicht zu interessieren.

Als Freud einen neuen Patienten namens Ludwig Stadlober behandelt, der nach einem Senfgasangriff nicht mehr sehen kann, fasst er den Entschluss, Anna über eine Lernanalyse mit in die Behandlung einzubeziehen. Sein analytisches Erbe will er an seine jüngste Tochter weitergeben. Anna ist fasziniert von dem Fall, und hinter Freuds Rücken trifft sie sich mit Stadlober. Ein Verhalten, das gegen die therapeutischen Regeln verstößt. Ihr Vater darf nichts davon erfahren.

Für Anna werden die wenigen Treffen zu einem Schlüsselerlebnis. Und sie will so nicht weitermachen. Auch Sigmund Freud profitiert in anderer Weise von den psychoanalytischen Sitzungen mit Stadlober und gewinnt neue Erkenntnisse. Anna jedoch gerät an einen Punkt, an dem sie schließlich ihren Vater um eine Therapie bittet. Und ihr Liebesleben bekommt endlich Konturen.

Als die Nazis 1938 in Wien einmarschieren, sind 20 Jahre vergangen, seit Anna und Sigmund Freud mit Stadlober Kontakt hatten. Und ihr erneutes Zusammentreffen mit ihm wird für die in Wien lebende Familie sehr gefährlich.

Ödipuskomplex, Neurose, Verdrängung und vieles mehr, die Begrifflichkeiten aus der psychoanalytischen Lehre Freuds haben längst Einzug in unseren Alltag gehalten. Doch über das Privatleben des Psychoanalytikers und das seiner Kinder ist wenig hinterlassen worden. Freud hat es seinen Biografen nicht leicht gemacht.

Der Roman „Ich bin Anna“ kündigt sich wie ein Versprechen an, das im Roman eingelöst wird. Anna entwickelt eine eigene Therapie und auch als Mensch und Frau findet sie ihren eigenen Weg. Wie wahr die Geschichte ist, stellt sich für begeisterte Leser*innen nicht, denn wer kennt schon die Wahrheit? Faszinierend und sehr gut erzählt ist der Roman unbedingt empfehlenswert.

Tom Saller – Ich bin Anna

Roman
256 Seiten.
ISBN 978-3-98568-103-7

Verlag: Kanon

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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