Pfirsiche leuchten wie kleine Sonnen im kleinen katalanischen Dorf Alcarràs. Üppig und reif hängen sie an den Hunderten von Bäumen, die den Obstgarten der Familie Solé bilden, und warten nur darauf, von vertrauten Händen gepflückt zu werden. „Fester Boden, geliebtes Land“, singt der Großvater mit brüchiger Stimme in einem Loblied auf die Erde, die seinen Haushalt seit Jahrzehnten ernährt hat. Und in Trauer über die Verwüstung, die sich düster am Horizont abzeichnet.
In Alcarràs, dem zweiten Spielfilm der spanischen Regisseurin Carla Simón, wird eine hart arbeitende Familie durch ein von Enteignung bedrohtes Stück Ackerland auseinandergerissen. Das vor Jahren gegebene Versprechen eines Mannes reicht nicht mehr aus, um den Solés das Eigentum an den Pfirsichplantagen zu sichern. Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Menschen. Der rechtmäßige Besitzer des Landes will die Obstbäume dem Erdboden gleichmachen, um an ihrer Stelle Sonnenkollektoren zu installieren, weil diese größere Profite versprechen. Quimet (Jordi Pujol Dolcet) setzt die Ernte dennoch mit stoischer Gelassenheit fort, während die Geschwister und Ehepartner ebenfalls versuchen, den Schein der Normalität aufrechtzuerhalten, wohl wissend, dass dieser Sommer ihr letzter sein wird.
Der Film hält die Balance zwischen idyllischer Reminiszenz und tiefer Melancholie für einen geschätzten Ort. Geschickt mäandert er durch seine Erzählung, um eine Weile bei den Verstecken und Lieblingsplätzen der Familie zu verweilen, dem Feigenbaum des Großvaters und der ständig wechselnden Höhle der Kinder. Er liefert aber auch eine ergreifende Geschichte über die Auswirkungen der industriellen Entwicklung auf die Landwirtschaft und die Menschen, deren Schicksal mit ihr verknüpft sind. Simón verweist zudem vielleicht ein wenig zu kurz auf die prekäre Situation der schwarzen Arbeiter, die nicht alle für die Pfirsichernte angeheuert werden können.
Die exzellente Kameraarbeit von Daniela Cajías ergänzt diese Parallelen, wenn das dunstige, goldene Licht des Dorfes zwischen idealistischer Erinnerung und drückender Hitze schwebt.
Mit den wachsenden familiären Ressentiments, den Unsicherheiten der Teenager und der erdrückenden Langeweile der Kleinstadt wird Alcarràs zu einer vielschichtigen und bewegenden Reflexion darüber, wie man mit seiner Position in einer unsicheren Zeit und an einem sich wandelnden Ort zurechtkommt und was man tun kann, wenn der Boden unter einem bröckelt und wegzubrechen droht. Geschickt wirft der Film dabei einen breiteren Blick auf die Familie Solés, indem er gekonnt kleinere, individuelle Erzählungen in ihre gemeinsame Krise einbezieht.
Simóns Talent, Schauspielern – in diesem Fall Laiendarstellern – und vor allem Kindern wunderbar natürliche darstellerische Leistungen zu entlocken, ist erstaunlich und großartig. Die junge Iris (Ainet Jounou) ist einer der Höhepunkte des Films, frech und voller blühender Fantasie.
Die große Stärke von Alcarràs liegt jedoch ohne Zweifel in der liebevollen Sorgfalt und dem tiefen Verständnis der Filmemacherin für ihr Thema, das zugleich zu einem Gutteil eine Geschichte aus ihrem eigenen Leben ist. Mit trügerischem Charme untersucht sie das Thema, das im Fortgang des Films einer zutiefst emotionalen Erzählung Platz macht. Zudem macht es große Freude, dem Film in all seinen Momenten der Einfachheit und der praktischen Arbeit zuzusehen: wenn Mütter und Schwestern Pfirsiche mit Schälmessern schälen und sie in glänzenden Sirup hüllen, wenn Früchte zu Hunderten aus Eimern auf Paletten fallen oder wenn Eltern ihren Kindern beibringen, wie man die reifste Ernte findet, und ihr Erbe auf Schritt und Tritt weitergeben.
Der Film kommt am Donnerstag offiziell in die Kinos.
Eine Kooperation mit der Kulturland Genossenschaft macht es möglich, sich Kinovorstellungen in ländlicher Umgebung oder in der Nähe der Höfe anzusehen, immer begleitet von einem Publikumsgespräch mit lokalen Landwirt:innen, die der angehören. Unter Kinofinder kann man mehr erfahren.