England, 1978/79. Nicht nur, dass der Winter sich von seiner kältesten Seite zeigt, nein, zudem streiken auch noch die Gewerkschaften. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die versprochene Lohnsteigerung reicht nicht, um die Miete zu bezahlen. Die Arbeiter lehnen die ausgehandelten Verträge zwischen Gewerkschaften und der Regierung ab. Immer mehr legen ihre Arbeit nieder – das Land gerät ins totale Chaos. Auf den Straßen türmt sich der Müll, es fahren weder Züge noch Busse. Die wildesten Streiks lähmen das Land und die Labour-Regierung taumelt – nichts geht mehr.
Zwischen hochgetürmten Müllbergen sieht man die junge Candice wendig und flink hindurchradeln. Sie ist die schnellste Fahrradkurierin in London und gefragt wie nie zuvor. Doch eigentlich ist sie mit Herz und Verstand Schauspielerin. Mit ihrer Theatergruppe, die nur aus Frauen besteht, proben sie unter der Regie von Nancy eines der bedeutendsten Stücke von Shakespeare, das Königsdrama „Richard III“. In der Hauptrolle Candice. Eine Geschichte über Machtstreben, die aus Frustration, emotionalen Entbehrungen und Vergeltung geboren ist und kein Mitleid kennt. Und doch immer andere braucht, um sich am Leben zu halten.
Candice nimmt ihre Rolle ernst, doch dann verliebt sie sich in den Musiker Jones, der ebenfalls große Ziele hat und viel Zeit. Denn er ist seinen „Brotjob“ losgeworden. Nun hat er nicht viel Geld, noch nicht einmal, um ausreichend zu essen, aber Ideen für seine Kompositionen. Auch die weltpolitische Lage ist eine unruhige und ein Vorwand, um die Missstände zu Hause in England zu verdrängen. Candice kündigt ihren Job und entdeckt in ihrer Tasche einen nicht zugestellten Brief – der Adressat heißt John Jones. Währenddessen beginnt der politische Aufstieg einer Politikerin…..
Der „Winter of Discontent 1978–79“ im Vereinigten Königreich folgt einem Zitat aus William Shakespeares Drama Richard III.. Der Roman des Autors Thomas Reverdy verbindet geschickt und klug die dramatischen Ereignisse, die einst einen gewaltsamen und machthungrigen Despoten antrieben, mit der jüngsten Vergangenheit Englands. Auf dem Höhepunkt der Streiks lassen die Sex Pistols ihre rebellischen Songs hören, stimmen Marianne Faithful und David Bowie ihren metaphorischen Gesang an, während eine ohnmächtige Bevölkerung versucht, sich gegen Armut und Arbeitslosigkeit zu wehren. Am Ende gewinnt eine Politikerin, Magret Thatcher, die lange mit ihrer neokapitalistischen Wirtschaftspolitik die Geschicke des Landes bestimmen wird. Ein sehr tiefsinniger Roman, der beste Unterhaltung garantiert.
Ein englischer Winter
Thomas Reverdy
Übersetzt von: Brigitte Große
208 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-8270-1409-2
Verlag: Berlin-Verlag
Biografie
Thomas B. Reverdy wurde 1974 geboren, durchlebte, nach eigener Auskunft, eine glückliche Kindheit inklusive humanistischer, aufklärerisch geprägter Erziehung und arbeitet heute als Lehrer in Seine-Saint-Denis. Reverdy lebt in Paris und ist Autor von sechs Romanen.