Die Schönheit ist eine Linie

Werner Hofmanns Buch nimmt uns mit auf eine spannende, lehrreiche Reise in die Kunst- und Kulturgeschichte, die von den frühesten Zeugnissen der Höhlenmalerei bis hin zur abstrakten Kunst

Everyone wants to understand art. Pablo Picasso

Wer sich nicht professionell mit Kunst beschäftigt, hat sich vielleicht noch keine Gedanken gemacht, welche Elemente Gemälde und andere Kunstobjekte ein Kunstwerk auszeichnen. Wie sie dekodiert werden und welche Merkmale sie als schön und kunstvoll charakterisieren.Und doch hat jeder eine Vorstellung davon, was schön ist. Thomas von Aquin nennt drei Faktoren, die einem Kunstwerk Schönheit verleihen, Unversehrtheit, Übereinstimmung der Teile und Klarheit.

Werner Hofmann, der im vergangenen Jahr gestorbene langjährige Direktor der Hamburger Kunsthalle, beleuchtet dieses Thema in seinem Buch „Die Schönheit ist eine Linie“ und handelt es in 13 Variationen ab. Dabei geht Hofmann weit in die Kunst- und Kulturgeschichte zurück. Schon 13000 vor Chr. geben Höhlenmalereien preis, was die „Linie alles kann“; sie ist abstrakt, aber auch natürlich, bedeutet Naturnähe und -ferne zugleich. Wellen- oder Schlangenlinien als animalische, weiche Formen sind bildsam und in seiner „Analysis of Beauty“ erklärt William Hogarth 1753 sie als ultimative Schönheit (beau ideal), doch in seiner „Variety“ fängt er sie ein, indem er sie in eine dreieckige Form fasst, als ob er der Wellenform nicht recht traute.

Die Ornamentik des Rokoko erlebt die geschwungene Linie im Schnörkel-und Rankenwerk, das auch vor Möbeln nicht haltmacht und damit, wie am Sitzmöbel Dos à Dos deutlich wird, radikal mit der Konvention des Klassizismus und seiner Dominanz der geraden, kantigen Formen bricht.

Von William Blake und van Gogh bis hin zu Hans Arp, der die Wellenlinie als Wünschelrute bezeichnet, weil sie Gegenständliches und Gemachtes gleichermaßen hervorruft: Die Wellenlinien bildet eine Formensprache emanzipatorischer Schönheit. Pablo Picassos Gemälde „La Lecture“ bezeugt dies eindrucksvoll.

In vielen wunderbaren Beispielen belegt,  die Wellenlinie siegt über die Gerade in puncto  Schönheit.

Hofmanns Buch nimmt uns mit auf eine spannende, lehrreiche Reise in die Kunst- und Kulturgeschichte, die von den frühesten Zeugnissen der Höhlenmalerei bis hin zur abstrakten Kunst und populären Kultur reicht und macht uns anhand zahlreicher Beispiele und Abbildungen immer wieder kompetent deutlich, warum die Schönheit eine Linie ist. Für kunstinteressierte LeserInnen eine sehr empfehlenswerte und lehrreiche Lektüre.

Die Schönheit ist eine Linie
13 Variationen über ein Thema
Autor: Werner Hofmann

2014. 223 S.: mit 148 Abbildungen, davon 16 in Farbe. In Leinen
ISBN 978-3-406-64490-0
Erschienen: 17.10.2014

Verlag: C.H. Beck

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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