Denen man vergibt – Lawrence Osborne

Eigentlich wollten David und Jo der Einladung gar nicht folgen. Richard und Dally hatten zu einer extravaganten Gatsby-Party geladen – mitten in der Wüste. Aber dieser jährlich stattfindende Event ist mittlerweile legendär. Auf der nächtlichen Fahrt, die sie an den Ort des Geschehens bringen soll, streitet sich das Ehepaar, ob es besser sei, die Nacht zur Weiterfahrt zu nutzen oder im Hotel zu übernachten. David will weiterfahren und setzt sich schließlich durch, obwohl er schon mehr als genug getrunken hat und die Sichtverhältnisse durch einen plötzlichen Sandsturm schlecht sind. Unerwartet taucht plötzlich eine Gestalt vor ihnen auf und wird vom Auto erfasst.
Währenddessen sind die Reichen, Schönen und Berühmten aus ganz Europa und den USA eingetroffen. Die Gäste sind von der Opulenz der Speisen und Getränke und der berauschenden Kulisse, vor der sich das Haupthaus und die Chalets der Gäste befinden, entzückt. Das schwule Gastgeberpaar hat sich selbst übertroffen. Der Ort ist nach den Mustern der alten ineineinander verschachtelten Lehmgebäuden restauriert und in der Nähe einer Wasserquelle errichtet, die einheimischen unfruchtbaren Frauen zur Schwangerschaft verhelfen soll. Klimaanlage und ein Pool sorgen für Erfrischung, zahlreiche marokkanische Bedienstete stehen den Gästen zur Verfügung, die nie mit leeren Händen unterwegs sind und alle Bedürfnisse nach Kokain, Champagner und Joints erfüllen. Nur das britische Paar David und Jo fehlt noch und sorgt, nachdem die Nachricht vom Unfall auch das Ksar Azna erreicht hat, für Neugier bei den Gästen und Besorgnis bei den Gastgebern.
Jo und David wissen sich nicht anders zu helfen, als die Leiche des jungen Fossilienverkäufers mitzubringen. Die bald gerufene Polizei kann schließlich mit Geld beschwichtigt werden. Doch Jo und auch David fühlen sich schuldig. Wie kann man damit leben? Mit dieser Gewissheit, einen Menschen getötet zu haben.
Als bald darauf der Vater mit seiner Familie auftaucht, um die Leiche des Sohnes nach ihren religiösen Ritualen schnellstmöglich zu beerdigen, fordern sie zudem, dass David sie begleitet. Zunächst will David nichts davon wissen, doch dann willigt er ein. Will die Familie sich rächen?
Jo bleibt auf der Party nicht lange allein, die sonst so kontrollierte Frau lernt plötzlich, sich fallen zu lassen und zu genießen. Verspricht eine Zukunft ohne David vielleicht eine Bessere zu sein? Doch dann kommt alles anders….

Lawrence Osborne dringt tief in seine Figuren hinein, macht ihre Gefühle, Ängste und Zweifel sichtbar. Zudem beschreibt er feinfühlig die kulturellen Unterschiede aufeinandertreffender Welten, die koloniale Gier der reichen Weißen, sich fremder Landstriche zu bemächtigen. Dagegen die Flucht der Afrikaner aus einem perspektivlosen Land, die nur ihr phylogenetisches Erbe mit sich führen. Beide Seiten bewaffnet mit Vorurteilen.
Die Widersprüchlichkeit der Wüste beschreibt der Autor so eindringlich und intensiv, dass sie vor dem inneren Auge auftaucht – man spürt die ewige Hitze, die grausame Kargheit, aber zugleich auch ihre traumhafte, überwältigende Schönheit.
Eine starke Geschichte, brillant geschrieben, so bildhaft wie ein Film.

Lawrence Osborne
Denen man vergibt

Aus dem Englischen von Reiner Pfleiderer
Quartbuch. 2017
ISBN 978-3-8031-3286-4

Verlag: Wagenbach

Lawrence Osborne, geboren 1958, ist ein Reisender, der mit seinen Reportagen unter anderem für die New York Times bekannt wurde. Ursprünglich aus Großbritannien, lebte er lange Zeit in Paris und jetzt in Bangkok. Inspiration für den Roman »Denen man vergibt« fand er während einer Marokkoreise. Es ist sein erster Roman auf Deutsch.

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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