Jena, 1985. Wer nicht streng auf Linie des sozialistischen Staatswesens der DDR wandelt, der hat es schwer. Das erfahren auch Julia, Biber, Melchior und Sohle. Die vier wollen ihren Punk spielen und üben heimlich in unbewohnten Häusern. Ihre Vorbilder im Westen sind beeindruckend. Wie sie von der „blank Generation“ singen, und genauso fühlen sie sich hier im Osten. Für stramme Sozialisten sind sie destruktive Elemente, die streng herangenommen werden müssen, damit sie auf den richtigen sozialistischen Weg zurückfinden.
Dann wird einer der Punks, Melchior Nikoleit, tot aufgefunden. Die Ermittler der Morduntersuchungskommission um Oberleutnant Otto Castorp informieren die Eltern. Der Vater wirkt verdächtig – er ist Antiquitätenhändler mit Westkontakt. Ob der dem Arbeiter- und Bauernstaat loyal gegenübersteht? Aber wer tötet schon sein einziges Kind? Die Ermittler zweifeln, auch, weil der Vater ein Alibi vorweisen kann.
Die anderen Mitglieder der Punkband stehen ebenfalls unter Verdacht. Julia, die eine noch junge Liebesbeziehung zu Melchior hatte, ist völlig verzweifelt. Sie weiß nur, dass Melchiors Vater gewalttätig ist und seinen Sohn oft verprügelt hat. Doch Julia besitzt ein Foto, das ihr Melchior gegeben hat. Es könnte hilfreich sein. Ein einflussreicher Mann ist darauf zu sehen. Soldaten, die stolz auf ihre Beute zu sein scheinen – zwei tote britische Offiziere. Ein Dokument, das in die Zeit noch vor 1945 zurückreicht. Und da Melchior gezwungen wurde, als informeller Mitarbeiter für die Staatssicherheit zu arbeiten, hätte er vielleicht ein Druckmittel.
Nun ist Melchior tot und Julia gibt es dem Ermittler Otto Castorp. Der ist einer, der keine voreiligen Schlüsse zieht, sondern das Ganze sieht. Otto belastet eine Verbrechen aus seiner Vergangenheit. Er glaubte, niemand hätte etwas bemerkt. Ein Irrtum! Ein Kollege hat ihn damit in der Hand. Wird das Ermittlerteam das Geheimnis um das Foto und den Mord an Melchior auflösen?
Max Annas, der als Westdeutscher die letzten Jahre der DDR mit erlebt hat, erzählt präzise und atmosphärisch vom Leben in der ehemaligen DDR. Das eingeengt sein, das vor allem junge Menschen fühlten, die auf der Suche nach Identität und Freiheit sehnsüchtig nach dem Westen blickten. Die Ermittler, die teilweise abgestumpft und stets auf der Hut waren, wohlwissend, dass es Geheimnisse in der DDR schwer hatten. Beide Seiten bekommen im Buch eine Stimme und werden klug miteinander verbunden. Ein sehr aufschlussreicher und gut erzählter Krimi.
Max Annas – Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit
Verlag: Rowohlt
Erscheinungstermin: 21.07.2020
336 Seiten
ISBN: 978-3-498-00133-9
Reihe: Morduntersuchungskommission
Max Annas, aufgewachsen in Westdeutschland, hat die letzten Jahre der DDR genutzt, um sich dort umzusehen und Freundschaften zu schließen. Im Juli 1989 wurde ihm die Einreise schließlich verwehrt. Er arbeitete lange als Journalist, lebte in Südafrika und wurde für seine Romane «Die Farm» (2014), «Die Mauer» (2016), «Finsterwalde» (2019) und «Morduntersuchungskommission» (2020) viermal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Weitere Veröffentlichungen: «Illegal» (2017).
Titelfoto: Dr. Horst-Dieter Donat auf Pixabay