Archie Shepp & Jason Moran: LET MY PEOPLE GO

Der Saxofonist Archie Shepp ist eine der letzten lebenden Legenden des Jazz. In seiner sechs Jahrzehnte umspannenden Karriere war er nicht nur ein Wegbereiter des Avantgarde-Jazz, der mit einer aggressiven Free-Jazz-Melange aus Blues, Dixieland, Karnevals-Märschen die abendländische Tradition attackierte, sondern auch Black-Power-Propagandist, der auf vielen Ebenen gegen den Rassismus in den USA kämpfte.

Vor fünf Jahren lernte er den Pianisten und Komponisten Jason Moran hinter der Bühne des belgischen Jazz Middelheim kennen; beide hatten seitdem viele gemeinsame Auftritte. Moran ist 37 Jahre jünger als Shepp, hat aber schon mit Größen wie Wayne Shorter, Cassandra Wilson und Charles Lloyd gearbeitet. Das neue Album von Shepp und Moran LET MY PEOPLE GO scheint deshalb nur eine natürliche Weiterentwicklung der beiden Musiker zu sein, die beide aktiv die Wertschätzung der „Black History“ durch die Musik fördern.  

Das Album umfasst sieben emotional tief bewegende Stücke, die bei Livekonzerten 2017 in der Philharmonie de Paris und 2018 in der Alten Feuerwache Mannheim aufgenommen wurden und ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten abdecken.

Der Albumtitel zitiert das afroamerikanische Spiritual „Go Down Moses“, das hier mit großer, intensiver emotionaler Kraft vorgetragen wird. Ebenso aufrüttelnd ist der Eröffnungstitel „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“, der die Härten der Sklaverei beklagt und den Schmerz, die Trauer und die Wut beschwört, deren Zeuge wir im vergangenen Sommer nach der Tötung von Ahmaud Arbery, Breonna Taylor und George Floyd George Floyd erneut wurden. Das Duo bietet hier Musik auf höchstem Niveau, ein intensives, die schmerzlichen Empfindungen des Songs auslotendes Zwiegespräch zwischen dem wehklagenden Saxofon Shepps und Morans tiefgründiger lyrischer Klavierbegleitung.

Neben diesen Spirituals stehen vorzügliche Interpretationen von Jazzklassikern, mit denen das Duo seine Wertschätzung zum Ausdruck bringt. Darunter befinden sich Billy Strayhorns „Lush Life“, Strayhorns und Duke Ellingtons „Isfahan“, Thelonious Monks „‚Round Midnight“ und John Coltranes „Wise One“, das Shepp bereits 1977 für sein Album „Ballads For Trane“ aufgenommen hatte. Eine Eigenkomposition von Moran, das Stück „He Cares“, das seine hypnotische Wirkung auf den Zuhörer nicht verfehlt, rundet das Album ab.

Obwohl die Spirituals für den Rezensenten die eigentlichen Highlights des Albums bilden, sind die anderen Stücke auf LET MY PEOPLE GO ebenso erfreulich, wobei Morans hervorragende Klavierarbeit ein wunderbares Gleichgewicht zu Shepps düsteren, freien Erkundungen bildet.

Label: Archieball

Genre: Jazz (Modern)

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Standardbild
Hans Kaltwasser
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