Albumkritik – Pure Desmond –100

Der sphärische, körperlose Klang seines Altsaxofons, das sich fast nur in der oberen Oktave bewegte und sich von allem Gewohnten seiner Zeit unterschied, war das Markenzeichen des US-Altsaxofonisten Paul Desmond. Er wolle wie ein trockener Martini klingen, sagte der für seinen lakonischen Humor bekannte Musiker einmal.

Auch wer Jazz nicht mag, kennt wahrscheinlich das Stück „Take Five“, das Desmond für das Dave Brubeck Quartet schrieb. Am Erfolg dieses Ensembles, dem er seit der Gründung 1951 bis zu seinem Tode 1967 angehörte, hatte er erheblichen Anteil. Eigentlich hieß er Paul Emil Breitenfeld. Doch das klang dem jungen, aufstrebenden Jazzmusiker Mitte der 1940er-Jahre zu uncool. Den Künstlernamen hatte er sich angeblich aus einem Telefonbuch herausgesucht.

Im kommenden Jahr wäre der 100. Geburtstag des im Alter von nur 53 Jahren verstorbenen Musikers. Ein willkommener Anlass für das Jazz-Ensemble Pure Desmond den legendären Künstler mit einem prächtigen Album zu ehren, das den schlichten, aber passenden Titel „100“ trägt und kürzlich beim Label Major Music erschienen ist. Der seit über 20 Jahren bestehenden Band gehören die Musiker Lorenz Hargassner (Altsaxofon), Johann Weiß (Gitarre), Christian Flohr (Kontrasbass) und Sebastian Deufel (Schlagzeug) an. Gegründet wurde das Ensemble, um das Erbe des Paul Desmond Quartet zu pflegen. 

Unter den dreizehn Titeln des Albums befinden sich einige Desmond-Allzeitklassiker. Klar, dass sein „Take Five“ dabei ist, ebenso wie die von Brubeck komponierten Stücke „Blue Rondo à la Turk“ und „Strange Meadow Lark“, die alle drei auf dem ersten Jazz-Million-Seller „Time Out“ der Band zu finden sind. Dabei schafft es das Hamburger Quartett mit Bravour, die von Brubeck und Diamond „improvisierten Kontrapunkte“ in Ton und melodischer Linienführung zu assimilieren und gleichwohl den Interpretationen eine eigene Klangästhetik zu verpassen.  

Neben diesen und anderen Jazz-Preziosen stehen wertbeständige Stücke wie „Lion for Lyons“, eine Komposition von Desmonds Freund und Baritonsaxofonisten Gerry Mulligan, das energiereiche „O Gato“ und das lateinamerikanisch angehauchte „Bossa Antigua“.  Stücke wie Mancinis melancholisches „Moon River“ aus dem Film „Frühstück bei Tiffany“ oder die von Johnny Mandel komponierte zärtliche Klavierballade klingen hier wie seltene, kostbare Unikate, die man am besten mit weißen Glacéhandschuhen anfasst.

An keiner Stelle erweckt das Album „100“ den Eindruck, es handele sich hier um eine beliebige Cover-Session. Das spricht nur für die hohe handwerkliche Qualität und das große Einfühlungsvermögen der Protagonisten, die allesamt erstklassige Musiker sind. Auch wer die großartigen Originale der dreizehn Titel kennt und mag, wird deshalb an diesem exzellenten, vor Spielfreude sprühendem Album seine helle Freude haben.

PURE DESMOND  „100“   
VÖ: 25.11.23   

Label: Major Music |  Vertrieb: Edel

Standardbild
Hans Kaltwasser
Artikel: 433

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