Sommerhits aus der Vergangenheit

The Beach Boys – KOKOMO

Am Anfang des Songs KOKOMO erklingen perkussive karibische Rhythmen, dann setzt lockender nasaler Tenor- und Bassbariton Gesang der beiden Leadstimmen ein:

„Aruba, Jamaica, ooh I want to take you to Bermuda, Bahama, come on pretty mama…“

Im schlichten Text geht es um zwei Liebende, die eine Reise zu einer fiktiven Insel irgendwo in der Karibik unternehmen wollen. Musikkritiker ließen an dem im Juli 1988 erschienenen fröhlichen Schunkler der Beach Boys kein gutes Haar. In vielen Listen der schlechtesten Songs aller Zeiten nimmt das Stück immer wieder einen der vorderen Plätze ein. Dennoch landete die US-Band mit dem Stück nach jahrzehntelangen Misserfolgen einen überraschenden Nummer-eins-Hit.

1988 standen die Beach Boys praktisch vor dem Aus. In den 1960-er Jahren hatte die Band mit Songs wie „Fun, Fun, Fun“, „Help Me Rhonda“, „I get Around“ und „Do it Again“ die internationalen Charts dominiert. Später folgten anspruchsvollere Kompositionen, melancholisch opulent arrangierte Miniatur-Symphonien wie „Wouldn’t It Be Nice“ und „God Only Knows“. Während sich die frühen Hymnen zumeist ums Surfen, wilde Autofahrten und hübsche Mädchen drehten, schwammen die Beach Boys mit Songs wie dem aufwendigen „Good Vibrations“ in puncto Experimentierfreude und Originalität jetzt mit ihren britischen Rivalen, den Beatles auf einer Wellenlänge.  

Doch ab Ende der 1960er-Jahre schaffte es die Band immer seltener in die Hitparaden. Der eskalierende Vietnamkrieg, Rassenunruhen und die blutigen Morde der Manson-Familie hatten eine andere Realität geschaffen, die nicht mehr zu der Unbeschwertheit des kalifornischen Lebensgefühls passte, das die frühen Songs hochleben ließ. Andere zudem tanzbare Genres wie R&B, Soul und Funk wurden langsam massenkompatibel und traten in Konkurrenz mit der komplizierter werdenden Musik der Beach Boys. Hinzu kamen private Rückschläge, Stress mit dem Label und innere Querelen. Die Band konnte schließlich zwei Jahrzehnte keinen Nummer-eins-Hit mehr landen und musste auf Oldie-Partys und in Nostalgie-Shows auftreten, um ihre Rechnungen zu bezahlen.

KOKOMO Soundtrack für den Film Cocktail

Doch dann nahmen die Dinge eine überraschende Wende. Die Beach Boys erhielten 1988 den Auftrag, einen Song für den Film „Cocktail“ aufzunehmen, eine kitschige romantische Komödie über einen von Tom Cruise gespielten gut aussehenden Barkeeper, der von New York nach Jamaika zieht und sich dort in eine Künstlerin verliebt. Für den Soundtrack wurde noch eine karibische Melodie gebraucht.

Terry Melcher, der Produzent der Band, erinnerte sich an ein altes Demoband, das er in seiner Schublade hatte, und gab es den Beach Boys. Die Musiker nahmen ein paar Veränderungen vor und spielten den Song ein. Das in den Florida Keys auf einer Dschungel-Bühne gedrehte Video enthält Szenen aus dem Film. Auf dem Cover der Single blickt Tom Cruise in die Kamera. Ein Foto der Band fehlt jedoch. Vielleicht weil nicht alle Mitglieder beteiligt waren. Schlagzeuger Dennis Wilson, der einzige Beach Boy, der das Surfen liebte, war fünf Jahre zuvor beim Tauchen ertrunken. Und den kreativen Kopf der Gruppe, den emotional zerbrechlichen Brian Wilson, der die Band einst zu ihrer Größe geführt hatte, seit Jahren aber an schweren Depressionen litt, hatte man zu den Aufnahmen erst gar nicht eingeladen.

Die Fans hat es nicht weiter gestört. Ungeachtet seiner vielfachen Negativkritiken verkaufte der Song mehr als eine Million Singles und bescherte den Beach Boys ihre erste Nummer 1 seit ihrem Allzeit-Klassiker „Good Vibrations“. KOKOMO trug auch wesentlich dazu bei, dass der „Cocktail“-Soundtrack mit Vierfach-Platin ausgezeichnet wurde und das Comeback-Album „Still Cruisin‘“ der Beach Boys vergoldet wurde.

Standardbild
Hans Kaltwasser
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