Heute vor 50 Jahren – WHO’S NEXT

WHO’S NEXT, das fünfte Album der britischen Rockband The Who, gehört zu jenen ewigen Meilensteinen, über die schlecht reden oder schreiben sich gleichsam von selbst verbietet. Und nicht nur Fans der TV-Kultserie C.S.I. werden zustimmen, dass es an höchst vitalen Rocksongs wie „BabaO’Riley“ und „We Won’t Get Fooled Again“, die die übrigen sieben Tracks einrahmen, nicht viel zu meckern gibt.

Für die frühen 1970er Jahre war das Album ziemlich genial. WHO’S NEXT sollte eigentlich nicht das fünfte Studioalbum von den Who werden. Pete Townshend, der Mitbegründer und kreative Kopf der Band, hatte Pläne für ein multimediales Nachfolgeprojekt über die Kraft der Musik in einer dystopischen Welt, das noch ehrgeiziger sein sollte als das legendäre „Tommy“ von 1969. Doch „Lifehouse“ kam nur schwer in die Gänge, zum Teil, wie der Gitarrist später einräumte, weil niemand so recht verstand, worum es eigentlich ging. 

Da Townshend jedoch immer praktisch veranlagt war und sein Bankkonto im Auge hatte, ließ er sich von Kit Lambert, dem Manager der Who, schnell davon überzeugen, dass es sich lohnt, ein konventionelles Album zu produzieren. So begannen sie die Arbeit daran in New York mit dem Cream-Produzenten Felix Pappalardi. Aber trotz einiger solider Demos spürte Townshend, dass sie nicht weiterkamen. Erst als die Band Glyn Johns als Produzenten gewinnen konnte, der in den letzten Monaten mit den Beatles als Toningenieur gearbeitet hatte, wurden die Aufnahmen zu dem, was Townshend heute als das beste Album der Who bezeichnet. Da hat er nicht unrecht. Selten hörte man Keith Moon so gut Schlagzeug spielen. „Thunderfinger“ John Entwistle brilliert am Bass und beim Stück „My Wife“ als Lead-Sänger. Roger Daltreys ausdrucksstarker, kraftvoller Gesang erhebt ihn hier zu der Inkarnation eines Rocksängers, der oft kopiert, jedoch kaum jemals erreicht wurde.

WHO’S NEXT ist zudem sicherlich das Album, das von allen Werken der Band am wenigsten Füllmaterial enthält. Das Fundament bilden die beiden epochalen Rockklassiker „Baba O’Riley“ und „We Won’t Get Fooled“ Again“. „Baba O’Riley“ ist ein spektakulärer Opener, der sich durch einen markanten, allerdings auf einer Lowrey-Orgel eingespielten hymnenhaften Loop auszeichnet, bevor erst nach 1:40 Minuten Klavier und Townshends dröhnenden Powerchords einfallen.

Die Idee, nach einer Gitarrenbridge ein zunächst langsames, sich dann zu einem rasanten Tempo entwickelndes Geigen-Solo des East-of-Eden Frontmans Dave Arbus einzubauen, hatte Keith Moon. Der einfühlsame Song „Bagain“ bewegt sich subtil im Spannungsfeld zwischen Akustikgitarre und Synthesizer. Auch die Stücke „The Song is Over“, „Getting in Tune“ und „Going Mobile“ sind eingängige, einfach großartige Songs. „Behind Blue Eyes“ kommt demgegenüber zunächst recht melodramatisch daher. Doch Daltreys kehliger Gesang und Townshends verzerrte Gitarre machen es zu einem aufrechten Klagelied, das so gar nichts von dem weinerlichen Selbstmitleid der unsäglich verhunzenden Coverversion von Limp Bizkit hat.

Der Song „We Won’t Get Fooled Again“, mit dem das Album abschließt,  ist eine skeptische Absage an die revolutionär geprägte Stimmung der frühen 1970-er Jahre. „We’ll be fighting in the streets“ – „Wir kämpfen auf der Straße“, singt Daltrey, aber er warnt gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen, die manche der Straßenkämpfer damals hegten. Revolutionäre Veränderungen, so stellt der Song ironisch fest, mögen spannend und notwendig sein, aber die Unterschiede zwischen den Revolutionären und den Despoten, die sie stürzen, sind nicht so groß, wie beide Seiten glauben machen wollen. „Meet the new boss, same as the old boss“, stellt Daltrey zum Ende lakonisch fest.  

Standardbild
Hans Kaltwasser
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