In welcher Weise wurde in den 1850er Jahren die Kunst von der neu aufkommenden Industrie und ihren Werksgeländen und -hallen inspiriert? Und wie verlief dieser Dialog zwischen Industrie, Malerei und Fotografie in den weiteren 175 Jahren? Die spannende Ausstellung „Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie“, die noch bis zum 26. September im Bucerius Kunst Forum zu sehen ist, widmet sich diesem Thema.
30 Gemälde und rund 170 Fotografien
Die Schau spannt einen zeitlichen Bogen vom Beginn der Industrialisierung bis heute, von der Romantik bis zur zeitgenössischen Fotografie. Bildgewaltig macht sie die Entwicklungen und Veränderungen in der künstlerischen Industriedarstellung über einen Zeitraum von 175 Jahren
deutlich. Das Bucerius Kunst Forum versammelt knapp 30 Gemälde und rund 170 Fotografien von über 100 Künstlerinnen und Künstlern, darunter Werke von Adolph von Menzel, Conrad Felixmüller, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Otto Steinert, Evelyn Richter, Hilla und Bernd Becher, Robert Voit, Thomas Struth und Inge Rambow.
Ausgangspunkt der Ausstellung bilden Arbeiten aus den 1850er Jahren
Fabriken in idyllischer Einheit mit der Natur, Innendarstellungen der Arbeitsstätten und Arbeitsvorgänge in riesigen Produktionshallen von Stahlunternehmen sowie die zunehmende Mobilität durch Eisenbahn und Schiffsverkehr fanden Eingang in das Werk der Maler dieser Epoche. Die Fotografie war zu dieser Zeit noch keine eigene Kunstrichtung, doch wurden Fotografen von Unternehmen mit der Dokumentation von Großbaustellen wie dem Bau von Bahnhöfen und Eisenbahntrassen oder dem Schiffsbau sowie mit werbenden Aufnahmen etwa von Werksgeländen und -hallen beauftragt. Diese Fotografien von Industriearbeit und -bauten werden in der Ausstellung den Gemälden der Zeit gegenübergestellt.
Impressionistische Ausdruckskraft und ambitionierte Fotografie
Impressionistische Künstler verwandelten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Industrielandschaften zu Stimmungsbildern, in denen sich eigenwillige
Lichteffekte studieren lassen. Zeitgleich stellten künstlerisch ambitionierte Amateurfotografen Fabriken und Arbeitsleben in atmosphärischen Kompositionen dar. Während bis dahin Arbeiterinnen und Arbeiter inmitten einer übermächtigen Industriearchitektur eine marginale Stellung einnahmen und sich der Maschinenwelt unterordneten, erfuhr das Verhältnis von Mensch und Technik ab 1900 eine grundlegende Veränderung. Nunmehr rückte die soziale Frage immer stärker in das öffentliche Bewusstsein und Arbeiterinnen und Arbeiter wurden als Individuen wahrgenommen. Fotografen hielten nun auch die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse des Proletariats etwa in New York und Berlin eindrucksvoll fest.
Industriemalerei – ein neues Genre
Zwischen 1880 und 1930 entwickelte sich in Deutschland das Genre der Industriemalerei ausgehend von Aufträgen seitens Großunternehmen. Maler arbeiteten – gelegentlich mithilfe fotografischer Vorlagen – in Großunternehmen der Stahl- oder Textilindustrie, um die Arbeit in den riesigen Fabrikhallen möglichst realistisch zu erfassen. Im Unterschied dazu setzten die Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit zur selben Zeit häufig gesellschaftskritische Akzente. Sie interessierten sie sich für die soziale und politische Wirklichkeit, um die gesellschaftlichen Verhältnisse wie Massenarbeitslosigkeit und soziale Klassenunterschied im Kapitalismus. Die neusachliche Industriefotografie hingegen artikulierte in der Regel keine dezidierte Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung.
Nach 1945 bestimmte die sogenannte Subjektive Fotografie den Formenkanon der Industriedarstellung mit einer experimentell-abstrakten Bildsprache. In den 1960er/70er Jahren finden sich zahlreiche Bildreportagen über den Lebensalltag in Industrieregionen
wie dem Ruhrgebiet, meist für illustrierte Zeitschriften erarbeitet.
Seit den 1970er Jahren bis heute haben sich zahlreiche Künstlerinnen und Künstler mit den Folgen der Industrialisierung auseinandergesetzt.
Verlassene Industrieruinen, Umweltverschmutzung und -zerstörung,
ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Minamata, Tschernobyl und Fukushima, die Auswirkungen von Gentechnologie in der Landwirtschaft oder die Veränderung der Lebenswelt infolge von Automatisierung und Digitalisierung werden in ihren Arbeiten thematisiert.
Und so stehen am Ende der Ausstellung die Werke zeitgenössischer Fotografinnen und Fotografen, die die Veränderungen unseres Planeten durch die industrielle Ausbeutung der Ressourcen oder auch die Digitalisierung von Arbeitsprozessen sichtbar machen.
MODERNE ZEITEN. INDUSTRIE IM BLICK VON MALEREI UND FOTOGRAFIE
- JUNI 2021 BIS 26. SEPTEMBER 2021 im BUCERIUS KUNSTFORUM
Titelbild: Bernd und Hilla Becher: Förderturm, Fosse Noeux no. 13, Frankreich, 1972
© Estate Bernd & Hilla Becher, represented by Max Becher; courtesy Die
Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – Bernd and Hilla Becher
Archive, Cologne