So war das Zürich Open Air 2014

 

 Samstag, 30.08.2014

Das Zürich Open Air 2014 ist bereits wieder Geschichte. Aber hat es auch Geschichte geschrieben? Oder nur „persönliche Geschichten“ welche für jeden wieder anders waren? An welche sich einige vielleicht kaum mehr erinnern werden?

Eigentlich hätte ich bereits am Donnerstag hingehen sollen, denn den coolsten Abend hat das ZOA bereits zum Start hingelegt, mindestens auf dem Papier. Da warteten einige Schmankerl. Über Goose und Metronomy steigerte sich der Abend bis hin zu Cut Copy, dem australischen Elektro-Pop Duo welches nach dem grandiosen „In Ghost Colours“ eigentlich zu riesigen Superstars hätten avancieren müssen. Sie haben sich danach ein wenig zu sehr in nostalgisch angehauchtem Dance-Sound bequem gemacht, gehören aber trotzdem unangefochten zur Elektro-Elite. Die Crystal Fighters machten den Abend perfekt. Programmtechnisch erinnerte mich dieser Abend an die Glanzzeit des ersten ZOA wo es beinahe mehr zu entdecken gab als an den drei darauffolgenden Ausgaben.

Dass die Manic Street Preachers, die vielleicht grösste lebende britische Rockband am Freitag bloss von 7 bis 8 spielte, ist für mich fast nicht begreiflich. Man schaue sich mal die Videos vom Glastonbury an.

Aber egal, in der Schweiz ist halt alles etwas anders, wie auch der Samstag bewies:

[su_slider source=“media: 29323,29324,29325,29326,29327,29328,29329″ link=“lightbox“ height=“600″ title=“no“ pages=“no“ speed=“2″]990[/su_slider]

Positivitäten und Überraschungen

Zuerst zu den wirklich positiven Punkten: Die Toilette an der Tramhaltestelle ist fantastisch. Man kann danach wirklich unbeschwert Richtung Festival-Gelände schlendern ohne in irgend einen dranghaften Stress zu verfallen. Somit kann der eine oder andere auch die Wartezeit erträglicher gestalten (die ich nicht hatte). Zweitens, das Essen war erstaunlich preiswert. Ein Samosa und eine Pakora mit Sauce für 5 Fränkli (hey, wir sind immerhin an Zürich’s Stadtgrenze). Eine ganz anständig grosse und feine Pizza für 10 Franken, das ist eigentlich schon fast „Budget“. Somit geht immerhin nicht grad das ganze Ersparte für Verpflegung drauf.

Gefreut hatte ich mich im Vorfeld auf Junip, ein klein wenig auf Breton und natürlich ganz fest auf Robyn & Röyksopp, einem mutigen Headliner am Hauptabend.

Pablo Nouvelle & Junip

Zur Überraschung gabs jedoch bereits vor Junip einen coolen Act im Zelt, Pablo Nouvelle aus Bern. Soul Samples und eigene Songs, gesungen in leicht souliger Manier vom Schlagzeuger, verpackt in ungemein tanzbare Beats. Knallte ganz gut. Der Bass war zwar mal wieder zu laut aber gegenüber dem letzten Jahr war der Sound nicht so blechern im Zelt.

In der Annahme, dass ein Haufen Leute die schwedischen Junip (aka José Gonzales mit Band) gucken gehen, verliess ich das Zelt etwas frühzeitig, was für die paar früh anwesenden Nasen vor der Hauptbühne nun wirklich nicht sinnvoll gewesen war. Junip sind wohl nur in meinem Umfeld bekannt. Und so richtig gezündet haben die Schweden dann auch nicht. Zu gleichmässig und oft fast gleichgültig sind ihre Melodien und die Spannungsmomente waren vor allem die, als der Keyboarder in beinahe Prog-Rockigen Gefilden wilderte und wen José ein wenig mehr Emotionen an den Tag legte. José zuzuschauen ist in ungefähr so spannend wie Mirabellen zu entkernen. Ein konzentrierter Blick. Quasi unverändert die ganze Stunde durch.

Und doch war es ein richtig schönes Konzert. Die Rhythmus-Gruppe schunkelt relativ gemächlich aber nie langweilig vor sich hin (wie Travis zu The Man Who Zeiten). Immer mal wieder funkelte eine wunderbare Melodie durch den Refrain bevor das Lied wieder in die Gleichgültigkeit abrutschte. Eigentlich ein recht interessantes Konzept. Und der letzte Song, Line of fire, war dann doch noch ein ganz grosser Knaller. Am Ende lachte auch José (ganz kurz).

[su_youtube url=“http://www.youtube.com/watch?v=wSaDElz7wSI“ width=“480″ height=“320″]http://youtu.be/TRwo8IHZvjY[/su_youtube]

Danach wartete ich eine Weile lang auf meinen Kumpel, der sich irgendwie im Eingangsbereich an mir vorbei geschummelt hatte und mich aus dem Zelt antextete wo grad BRNS versuchten, die Leute zum Tanzen zu bringen. BRNS, eine anglophile Tanz-Rock-Band mit Hibbel-Beat und vielen Tempi-Wechseln. An die hatte ich bisher noch gar keinen Gedanken verschwendet und jetzt erinnere ich mich auch gar nicht mehr so richtig daran, nur dass es überraschend gut klang. Und wie viele Belgier kriegt man auf Schweizer Bühnen überhaupt zu sehen? Das müsste eigentlich bereits Grund genug sein, stehen Belgier, wenn sie endlich mal ausserhalb der Heimat bekannter werden, doch für höchst anständige Qualität.

Draussen an der frischen Luft gesellten wir uns dann zu denen, welche aus einer sicheren Distanz die englischen White Lies „geniessen“ wollten. Ganz bewusst in Gänsefüsschen.

 

Das Zwischentief im schönen Zürcher Abendhimmel

 

Für mich sind die White Lies eines der grössten Rätsel des aktuellen Musikzirkus. Sie haben es geschafft, mit einem Genre, welches selten richtig grosse Erfolge erziehlt, im Mainstream zu landen. Das alleine ist natürlich noch nicht einzigartig. Muse und Coldplay und die Arctic Monkeys haben das ja auch geschafft. Das WIE ist viel interessanter. Sie haben es talentfrei geschafft. Während bei anderen das Talent langsam dahin schwindet während sie im Mainstream baden, haben die White Lies diesen Schritt grad ganz ausgelassen. Harry McVeigh schrei-singt sich durch den immer gleichen Song. Clevererweise haben sie immer wieder Songpausen um anzudeuten dass nun ein anderes Lied kommt. Das sind keine weissen Lügen, sondern mindestens dunkle. Das Gefühl dass sie verbreiten ist weder Joy Division noch Teardrop Explodes denn eigentlich ist es nur eine immer gleiche Wall of Sound aus Gitarren, Keyboards und Bass sowie einem Dance-Beat. Eine angedeutete Melodie der alle stur folgen. Kein Instrument das ausscheert und keine Emotion die aus dem lauten Gesang dringt. Nach einer Weile wollte ich einfach weg. Zum Glück warteten bald mal Breton im Zelt.

 

England: 0 Punkte

Die sind viel talentierter, sagte ich zu meinem Kumpel und freute mich auf einen spannenden, noch frischen Act. Aber es war nicht der Abend der Engländer. Vielleicht nicht talentfrei jedoch mindestens unzwingend. Jeder Ton ausserhalb jeglicher Melodie. Aber die Töne finden sie voll cool. Da zeigt Sänger Roman Rappak ganz lässig beim einem der vielen Breaks auf den Keyboarder (um zu sagen, hey, komm Keyboarder, mach den geilen Ton) und der Keyboarder macht einen… Ton. Ganz grosse Klasse. Das war etwa nach dem vierten Song und da dachte ich nur noch „Du verdammtes Arsch“ und drängte mich nach draussen. 4 melodiefreie Songs. Mit viel Rhytmuswechseln, kaum normale Songstrukturen (was egal ist wenn das Gespielte spannend ist) und irgendwie kaum etwas um sich daran festzuhalten. Indie-Pop für Mathematiker? Mag sein dass die Eingeweihten darin eine total tolle Mucke erkennen können, für mich war das Käse und absolut enttäuschend.

 

Nach dem Drama die absolute Krönung

Aber eigentlich war ja alles sowieso egal, denn das Zürich Openair hatte für den Samstag einen der spannendsten, knalligsten, groovigsten und technisch perfektesten Headliner gebucht den man sich wünschen kann. Die schwedischen Elektro-Götter von Röyksopp, im Gepäck mit der Löwin Robyn. Zusammen so in etwa die intensivste Anti-Pop-Diva der Gegenwart mit dem feinsten Electro-Backup der letzten Jahre. Zuerst bereitet mir der Bass noch ein wenig Bauchschmerzen (nicht ganz so schlimme wie im Zelt) doch das haben sie bald mal in den Griff bekommen. Röyksopp spielten ein knalliges, buntes, fast krachendes und spannendes Set wobei ich trotzdem immer das Gefühl hatte es kommt keine richtige Stimmung auf, möglicherweise täuschte das aber da ich nicht mittendrin stand. Als nach ca. 40 Minuten Robyn auf die Bühne kam, änderte sich der Sound hin zum perfekten Elektro-Pop-Song. Dancing on my own inklusive. Ihre kräftige Stimme trifft jeden Ton und thront zu jeder Zeit über dem sensationell tanzbaren Sound. Sie rast über die Bühne und kämpft sich wie eine Löwin durch ihr Set. Mitreissend. Aber das tollste an diesem All-Sweden-Set kam natürlich dann, als Röyksopp wieder die Bühne enterten und sie zusammen die Songs der gemeinsamen EP „Do it again“ in den Zürcher Nachthimmel schleuderten. Der Sound kristallklar, aufgeräumt obwohl 9 „Musiker“ auf der Bühne standen, jeder Ton sauber im Mix und die überirdischen Pop-Songs mittendrin. Die Lichtshow überwältigend, die Bässe satt aber nicht unangenehm. Nah an der perfekten Show. Oder vielleicht schon so mittendrin wie Robyn’s Stimme. Do it again. Please do it again. Und ich bin nun wirklich kein Elektro-Peter.

[su_youtube url=“http://www.youtube.com/watch?v=FkOVuNib9qE“ width=“480″ height=“320″]http://youtu.be/TRwo8IHZvjY[/su_youtube]

Aber weshalb ist in der Schweiz nun alles anders? Nun, wir sind einfache Gemüter und bei den White Lies oder den Bloody Beetroots (mit Alkohol zwar irgendwie auch logisch) gehen wir einfach mehr ab als bei solch Grossartigkeiten wie gerade beschrieben.

 

Einfach nur spielerische Provokation oder tatsächlicher Frust?

Ich habe heute die El-Abri-Kolumne des Züri-Tipp gelesen und geschmunzelt. Auch ein wenig die Stirn gerunzelt. Eigentlich möchte ich nur etwas dazu sagen: Wer an ein Rock-Open-Air gehen möchte, sollte sich auch ein Rock-Open-Air suchen. Das Elektro lastige (es darf auch so etwas geben) Züri-Open-Air im gleichen Artikel mit Woodstock zu nennen ist in etwa so geistreich wie zu behaupten, dass es in Woodstock viel unzivilisierter zu und her ging als im Opern Haus. Diese wenigen Hippie-Stände benötigte es nicht um Woodstock-Atmosphäre hinzuzaubern sondern um auch die Fans von Junip, von Cut Copy oder dem exzentrischen Julian Lennon (The GOASTT) zu bedienen, weil, lieber Herr El Abri, heutzutage halt für jeden etwas dabei sein muss, zum Glück ohne grad das Gampel zu sein. Was jedoch tatsächlich zu sauber ist, ist das Logo, es erinnert mich an UBS Werbung und das ist nun wirklich nicht schön.

Wer Dreck möchte, kann im Sandkasten spielen oder mit Schminke im Gesicht durch ein Bachbeet rennen, wer den qualitativ hochwertigen Sound eines Plaza-Clubs in Cinemascope bewundern möchte, der war auf der Hauptbühne des Zürich Open Air 2014 bestens bedient. Nächstes Jahr vielleicht wieder etwas mehr Spannung in der Tiefe. Stichwort: JJ / Jonsi / HEALTH

Ansonsten: Freue mich auf 2015, denn schliesslich muss ja auch nicht alles dem eigenen Geschmack entsprechen..

 

 

Photos: Pablo Nouvelle / Junip / White Lies / Breton / Röyksopp & Robyn: Amanda Nikolic

 

Standardbild
UrsHoesli
Artikel: 64