Zeruja Shalev: Roman Schicksal – Buchtipp

Eine über 90-jährige Frau trifft eine deutlich jüngere, die ihre Tochter sein könnte. Und tatsächlich gibt es eine Verbindung zwischen ihnen, die Atara erst kürzlich erfahren hat. Ihr todkranker Vater verwechselt sie mit Rachel, die ihm einmal sehr viel bedeutet, die er jedoch sein gesamtes späteres Leben verleugnet hat. Nur jetzt, kurz vor seinem Tod, flammt das Bild dieser Frau wieder vor ihm auf. Er und Rachel waren UntergrundaktivistInnen. Verzweifelt kämpften sie gegen die damalige britische Besetzung und für die Gründung des Staates Israel.

Atara will Rachel unbedingt kennenlernen. Nun ergibt sich die Möglichkeit, ihren Vater und seine Geschichte besser zu verstehen, der sie in ihren Augen nicht geliebt hat, sondern häufig gewalttätig gegen sie war. Doch es gelingt nicht so einfach, Rachel zu einem Gespräch zu treffen. Die alte Frau, die noch immer von der Vergangenheit eingeholt wird, die viele Verluste betrauert und letztendlich fürchtet, dass sie vergebens waren, ängstigt auch diese Begegnung. Was kann sie Atara berichten, was ist für sie von Bedeutung?

Während sich Atara ein zweites Mal auf den Weg zu ihr macht, wird ihr Mann Alex in die Notaufnahme gebracht. Sie kehrt um, Atara will ihrem Mann beistehen, der jede Erkrankung als Attacke auf sein Ego begreift. Doch diesmal steht es tatsächlich schlimm um ihn. Und Ataras Leben ändert sich schlagartig.

Wie eine Folie liegt die Geschichte Israels über den Biografien der beiden Protagonistinnen. Mit großem Einfühlungsvermögen und Trennschärfe erzählt die Autorin von deren je verschiedenen Lebensverläufe, die in zu bewältigende Trauerarbeit münden. Dank der Erzählkraft Shalevs kommen die LeserInnen ganz dicht an die Gefühlswelt der beiden Frauen heran und verstehen deren grenzenlose Liebesfähigkeit und tiefe Trauer. Ein berührender und atmosphärisch sehr dichter Roman, der zudem die Auswirkungen der schwierigen und differenzierten Lage Israels auf seine Bewohner sichtbar macht.

Schicksal – Zeruya Shalev

Roman

am 31. Mai im Berlin Verlag

Zeruya Shalev, 1959 in einem Kibbuz am See Genezareth geboren, studierte Bibelwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Haifa. Ihre vielfach ausgezeichnete Trilogie über die moderne Liebe – «Liebesleben„, “Mann und Frau„, “Späte Familie» – wurde in über zwanzig Sprachen übertragen. Zuletzt erschienen ihre Romane „Schmerz“ (2015) und „Schicksal“ (2021). Zeruya Shalev gehört weltweit zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit.

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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