Zehn tolle Filme von François Truffaut

François Truffaut, der sanfteste Regisseur der Nouvelle Vague, schuf einige der beliebtesten Klassiker dieser französischen cineastischen Bewegung von „Jules und Jim“ bis „Die amerikanische Nacht“. Angeblich weigerte sich Gérard Depardieu in „Die letzte Metro“ (1980) mitzuspielen, weil er der Meinung war, Truffaut sei zu spießig geworden. Der französische Regisseur war vielleicht nicht mehr der leidenschaftliche Kritiker, der in den 1950er-Jahren in den „Cahiers du Cinéma“ das „cinéma du papa“ anprangerte und auch nicht mehr der furchtlose Autor, der zur Avantgarde Nouvelle Vague gehörte. Aber Truffaut erwies sich immer als ein vollendeter Filmemacher, dessen Liebe zum Kino und Respekt vor den großen Meistern der Tradition des Kinos in jeder Einstellung seines Werks zu spüren war.

Spätere Filme mögen stilistisch weniger ambitioniert gewesen sein und sogar Spuren der einst von ihm verachteten „Qualitätstradition“ enthalten. Aber wirklich verändert hat sich Truffaut in den 30 Jahren seines rastlosen Schaffens nie und blieb, was er immer war: der letzte der poetischen Realisten.

Hier unsere Liste seiner zehn größten Werke.

10. Der Mann, der die Frauen liebte (1977)

Diese humorvolle Liebeskomödie ist ein schönes Beispiel für die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die viele seiner Filme auszeichnete. „Der Mann, der die Frauen liebte“ versprüht sogar den Charme einer Lubitsch-Komödie hat. Charles Denner spielt Bertrand, einen Mann, der alle Frauen mit der Leidenschaft eines Kenners und Sammlers liebt. Bei seiner Beerdigung drängen sich seine weiblichen Verehrerinnen in dichten Reihen.

9. Der Wolfsjunge (1970)

„Der Wolfsjunge“ ist ein Vorläufer von Werner Herzogs „Jeder für sich und Gott gegen alle“. Der Film basiert auf einer sensationellen und mythologisierten Fallgeschichte aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte eines „Wolfsjungen“, der in den Wäldern entdeckt wird und dort ein wildes Leben führt. Ein Arzt macht es sich zur Aufgabe, dem Jungen den zivilisierenden Einfluss der Erziehung zu zeigen.

Jean-Pierre Cargol spielt Victor, den Wolfsjungen, und Truffaut selbst den Arzt. Mit diesem Film kehrt Truffaut zu einem seiner Hauptthemen zurück: die Verletzlichkeit und Intensität der Kindheit.  

8. Die letzte Metro (1980)

Einer von Truffauts größten kommerziellen Erfolgen – eine Tragikomödie, die im besetzten Paris des Jahres 1942 spielt, wo die Bevölkerung Heizkosten spart, indem sie sich in Theatern und Kinos drängt, bevor sie die letzte Metro nach Hause nimmt. Eine Theatertruppe mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle und Gérard Depardieu als neuem Jungstar ist der Meinung, dass die Aufführung trotz der Unterdrückung durch die Nazis weitergehen muss. Der jüdische Regisseur versteckt sich im Keller des Theaters, von wo aus er die Inszenierungen heimlich gestaltet. Die Schauspieler bekommen es mit einem der hasserfülltesten Kritiker der Filmgeschichte zu tun – einem abscheulichen antisemitischen Kollaborateur namens Daxiat, der dem real existierenden nazifreundlichen Journalisten Alain Laubreaux nachempfunden ist.

Die Idee des Regisseurs, der sich im Keller versteckt, eines Künstlers, der im Verborgenen arbeitet und vom Schicksal unterdrückt wird, ist gar nicht so weit entfernt von Charles Aznavours Klavierspieler in „Schießen Sie auf den Pianisten“.

7. Die Frau von nebenan (1981)

Ein brodelndes Melodram, fast schon ein erotischer Thriller, der offensichtlich von Tristan und Isolde inspiriert ist. Nach Auffassung der Kritik fehlt ihm aber die Leichtigkeit, die Truffauts beste Werke auszeichnet. Gérard Depardieu spielt einen glücklich verheirateten Mann aus der Provinz, der erstaunt feststellt, dass seine frühere Geliebte, die inzwischen verheiratet ist, seine neue Nachbarin ist. Ihre Beziehung war schmerzhaft und stürmisch und flammt natürlich bald heimlich wieder auf, was zu Unheil und Gewalt führt.

6. Schießen Sie auf den Pianisten (1960)

Truffauts Nachfolgewerk zu „Sie küssten und sie schlugen ihn“ basiert auf dem Roman Down There des US-Krimiautors David Goodis und zeigt seine Liebe zu amerikanischem Pulp und American Noir. Charles Aznavour spielt Charlie, einen Klavierspieler, der allabendlich in einer schäbigen Bar spielt.  Eigentlich heißt er Edouard Saroyan und ist ein international bekannter klassischer Konzertpianist, der seine glanzvolle Karriere wegen eines schrecklichen Geheimnisses aufgegeben hat. Durch die ruchlosen Machenschaften seines Bruders mit dem marxistischen Namen Chico, gespielt von Truffaut-Urgestein Albert Rémy, wird er in die tiefsten Niederungen des Lebens und des Verbrechens verwickelt.

5. Geraubte Küsse (1968)

Nach dem Rache-Thriller „Die Braut trug Schwarz“ (1968) verspürte Truffaut hier wohl das Bedürfnis, zu seinem früheren Stil zurückzukehren. Antoine Doinel wurde unehrenhaft aus der Armee entlassen. Jetzt ist er ein grüblerischer Außenseiter, der in rascher Folge eine Reihe bizarrer Jobs wie Privatdetektiv und Fernsehreparateur wechselt, weil er immer wieder gefeuert wird. Dann verliebt er sich in Christine, eine junge Frau, macht aber auch eine absurde sexuelle Erfahrung mit der vamphaften Frau seines Arbeitgebers, was die Dinge herrlich verkompliziert. Doinels Leben befindet sich nun im Stadium der romantischen Komödie.

4. Das grüne Zimmer (1978)

Gehört zu Truffauts seltsamsten Filmen, untypisch, aber auch sehr persönlich und innig. Der Film basiert auf einigen Kurzgeschichten von Henry James. Truffaut selbst spielt Julien Davenne, einen Veteranen des Ersten Weltkriegs, der bei einer dahinsiechenden Zeitung in der Provinz arbeitet und Nachrufe schreibt. Er ist vom Tod besessen. Die meisten seiner Kriegskameraden sind schon vor Jahren gefallen. Viele seiner Zeitgenossen sterben, auch seine Frau. Doch diesen letzten Verlust will Davenne nicht gelten lassen. In seinem Haus richtet er einen Gedächtnisraum ein, der mit Bildern und Habseligkeiten aus dem Nachlass der Verstorbenen vollgestopft ist. Niemand außer ihm darf das „grüne Zimmer“ betreten, in dem er sich nächtelang mit den Verstorbenen „unterhält“. Dann lernt er Cécilia (Nathalie Baye) kennen, eine junge Frau, die ebenfalls einen geliebten Menschen verloren hat und versucht, Julien ins Leben zurückzuholen.    

3. Die süße Haut (1964)

Verzögerungen bei den Dreharbeiten zu seinem einzigen englischsprachigen Projekt, „Fahrenheit 451“ (1966), boten Truffaut die Gelegenheit, dieses Ehebruchdrama zu drehen, das geschickt stilistische Elemente des Melodrams und Thriller miteinander verbindet. Jean Desailly spielt einen renommierten Literaturkritiker, der zu einem Vortrag über Balzac nach Lissabon fliegt. Im Flugzeug lernt er die von Françoise Dorléac gespielte Flugbegleiterin Nicole kennen und beginnt eine obsessive tragisch endende Affäre mit der lebenslustigen, 20 Jahre jüngeren Frau. Auf den Filmfestspielen in Cannes fiel der Film bei den Kritikern fast ausnahmslos durch, die ihn als schäbig und zynisch empfanden. Heute gilt er als scharfsinnige Analyse der verlogenen bürgerlichen Sitten.

2. Sie küssten und sie schlugen ihn (1959)

Truffauts wunderbares Debüt, das die Nouvelle Vague begründete und zugleich den Beginn einer lebenslangen Zusammenarbeit mit dem Kinderschauspieler Jean-Pierre Léaud markiert. Der Film ist stark von Truffauts eigenen Erfahrungen geprägt. Im Mittelpunkt steht der 12-jährige Antoine Doinel, der wie Truffaut ein störrisches und unglückliches Kind aus schwierigen Verhältnissen ist. Antoine klaut, schwänzt die Schule, streift mit seinem Kumpel durch Paris. Um sein Schwänzen zu erklären, erzählt er der Lehrerin, dass seine Mutter gestorben ist. Die Lüge fliegt auf, als seine Mutter und sein Stiefvater in der Schule auftauchen und Antoine vor der ganzen Klasse verprügelt wird. Anschließend wird er in eine Erziehungsanstalt gesteckt, aus der er jedoch wieder ausbricht. Legendär ist die Sequenz am Ende des Films, in der Antoine an den Strand rennt, weil er noch nie das Meer gesehen hat. Die letzte Einstellung zeigt das kindliche Gesicht, das kurz davor steht, ein Mann zu werden.

1. Jules und Jim (1962)

Die Adaption eines Romans von Henri-Pierre Roche über eine knisternde Dreiecksbeziehung versprüht den Charme der Swinging Sixties, spielt aber tatsächlich in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Oscar Werner ist Jules, ein schüchterner junger Österreicher, der im Jahr 1912 in Paris lebt. Er ist mit dem weltgewandten Franzosen Jim befreundet, gespielt von Henri Serre. Beide Männer verlieben sich in Catherine, eine unkonventionelle, von Jeanne Moreau gespielte schöne junge Frau. Jules und Jim glauben, Catherine ähnelt einer griechischen Skulptur, die sie im Museum gesehen haben. Catherine bittet Jim, sich mit ihr in einem Café zu treffen, taucht aber nicht auf. Später erzählt sie etwas von einem Friseur und verrät, dass sie Jules heiraten wird.

Wenn sie zu ihrer Verabredung gekommen wäre und Jim den Mut gehabt hätte, seinen Antrag zuerst zu machen, wäre dann alles anders gekommen? Hängen Liebe und Schicksal von so etwas Zufälligem wie einer verpassten Verabredung ab? Catherine fehlt zwar im Titel, aber sie dominiert den Film.

Standardbild
Hans Kaltwasser
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