Y – Anne Teresa De Keersmaeker, Rosas

Wer ein Museum, Tanztheater oder ein Konzert besucht, erlebt das, was dort ausgestellt oder performt wird. Wer in den nächsten Tagen ins Folkwang Museum in Essen geht, dem offenbaren sich an einem Ort alle drei Kunstsparten. Möglich ist das, weil die flämische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker im Rahmen der Ruhrtriennale dieses einzigartige, bereits an anderen Orten erprobte Konzept den Besucher*innen jetzt in Essen vorstellt. Unter dem Titel Y, abgekürzt für „Why“ (Warum), erforscht sie das Potenzial von Fragen sowie das Verhältnis von Figuration und Abstraktion, Bild und Bewegung.

Wir leben im Zeitalter der Körperlichkeit. Streben dabei oftmals nach Perfektion, der Körper muss fit sein, gut aussehen und gesund. Er ist Kommunikationsmittel und sendet durch seine Haltung und seinen Zustand Botschaften aus, wie wir uns fühlen. Im Raum gemeinsam mit anderen Menschen, interagieren wir oft auch unbewusst.

Besucher*innen, Gemälde und Tänzer*innen teilen sich einen Raum

Als sich die Räume für die Besucher*innen auf der Premiere endlich öffnen, ist die Wirkung auch gleich zu spüren: Drei Tänzer*Innen, sozusagen die Held*Innen unserer Optimierungswünsche sind plötzlich ganz nahe, nicht auf einer entfernten Bühne, ihre Synchronisation ist unmittelbar erfahrbar, leichte Vibrationen des Bodens und ihr Atem sind wahrzunehmen. Dazu erklingt Musik. Der Blick der Tänzer*Innen wendet sich nach oben, als suchten sie dort Antwort auf eine Frage, wenden die Arme nach hinten, als deuteten sie auf das Gemälde im Raum. Vielleicht lautet die Frage „Why“.

Aus dem Nebenraum hören Besucher*Innen eine Frauenstimme schreien. Doch es ist kein Schrei, sondern eine immer wiederkehrende Phrase „To be or Die“, der abgewandelte Monolog aus Shakespeares Tragödie „Hamlet“, der den Tanzmonolog leitet.

Anne Teresa De Keersmaeker, Rosas
Y
Nina Godderis / Yves Klein, MG 28, 1960 und Oliviero Toscani, United Colors of Benetton / White Black Yellow, 1996
Eine Auftragsarbeit der Ruhrtriennale in Koproduktion mit dem Museum Folkwang. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Foto: Katja Illner / Ruhrtriennale

Ein anderer Raum, ein anderer Künstler. Wir folgen dem Sog und sehen eine wiederkehrende Streetdance-Performance. Steht nicht nur der Performer zeitweise auf dem Kopf, sondern auch vieles, das neu in unser Leben und unsere Welt eingefügt werden muss?

Nassim Baddag / Carl Gustav Carus, Hochgebirge, Kopie nach Caspar David Friedrich, um 1824
Eine Auftragsarbeit der Ruhrtriennale in Koproduktion mit dem Museum Folkwang. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Foto: Katja Illner / Ruhrtriennale

Die Rezeption von Kunst ist selten deckungsgleich mit den Intentionen und Motivationen des Künstlers oder der Künstler*innen. Die gestrige Premiere führte durch einen 800 Quadratmeter großen Parcours der Räume des traditionsreichen und renommierten Museums Folkwang und hinterließ sicherlich bei allen Premiere-Besucher*innen einen nachhaltigen und positiven Eindruck. Lebendige Präsenz besitzt Vorrangigkeit, und deshalb wirkten die Tänzer*innen wie ein Verbindungsstück zu den beeindruckenden Gemälden und der Musik.

„Y“ ist eine Produktion von Rosas und Auftragsarbeit der Ruhrtriennale in Koproduktion mit dem Museum Folkwang. Im Folkwang Museum noch bis 8. SEP 2024 zu sehen.

Titelbild:Anne Teresa De Keersmaeker, Rosas, Y, Nina Godderis und Synne Elve Enoksenn vor Rudolf Belling Mensch (Kain und Abel), 1918 Eine Auftragsarbeit der Ruhrtriennale in Koproduktion mit dem Museum Folkwang. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024 Foto: Katja Illner / Ruhrtriennale

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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