Weiter Weg // BuchTipp

Je „weiter weg“ von der menschlichen Gemeinschaft, desto näher kommt man sich selbst. Doch auch der Umkehrschluss ist richtig und ein Grund für Jonathan Franzen, sich auf eine Insel zurückzuziehen. Denn eine viermonatige Lesetour war ausgefüllt mit sozialen Kontakten, er sehnt sich daher nach Ruhe und Einsamkeit. Als Zufluchtsort wählt er die Insel Más Afuera, deren Name übersetzt „weiter weg“ bedeutet. Ausgerüstet mit den nur notwendigsten Dingen, die man zum Überleben braucht, hat er zusätzlich auch eine bedeutsame Aufgabe übernommen, er wird die Asche seines 2008 durch Selbsttötung aus dem Leben geschiedenen Freundes David Foster Wallace dort im Südpazifik verstreuen.
In der Einsamkeit, die nicht so absolut und abgeschnitten von der übrigen Welt ist wie die von Robinson Crusoe, wird ihm aber bewusst, wie sehr er um den Verlust seines Freundes trauert. Der Zorn darüber, selbst sterblich zu sein, hat durch den Suizid seines Freundes noch zugenommen. Denn der nimmt damit das Unvermeidliche vorweg und lässt die ihn liebenden Menschen zurück. Das Selbstmord-Ich seines Feundes war stärker als das Ich, das alle an ihm geliebt haben. Die Inseleinsamkeit macht es dem Autor möglich, seinen Zorn in Trauer und schließlich auch Trost umzuwandeln.

In den Essays Franzens, die aus den Jahren 1998 bis 2011 stammen, übt er Kritik an der überall sichtbaren Handy-Kultur, die öffentliche Räume opfert, zugunsten einer ständigen Erreichbarkeit und Vermittlung von Banalitäten. Im Essay „Der leergefegte Himmel“ wendet er sich gegen das Ausrotten der gegen Süden ziehenden Vögelschwärme entlang der Vogelzugrouten. Oder berichtet über die einst zum Lebenserhalt notwendige Jagd auf Singvögel, die heute zu einem für die Umwelt riskanten Wohlstandsbrauchtum verkommen ist. Jonathan Franzen erzählt von diesen Erlebnissen als Vogelexperte- und liebhaber, die er bei Recherchereisen nach Zypern, Malta, Italien und China gemacht hat.
Auch mit Literatur wie Wedekinds „Frühlingserwachen“ und mit der Unsitte des „comma – then“ in der neueren amerikanischen Literatur setzt er sich kritisch auseinander.
Mit seinem Essayband gelingt Franzen ein tiefer Einblick in das, was ihm wichtig ist und liefert zugleich eine kritische Weltsicht.

Wer mehr über Jonathan Franzen erfahren will und darüber hinaus die hervorragend übersetzten amerikanischen Aufsätze lesen möchte, sollte zu diesem Buch greifen.

Weiter weg
Jonathan Franzen

Rowohlt
Hardcover, 368 S.
18.01.2013
19,95 €
978-3-498-02132-0

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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