Helmut Schmidt: Was ich noch sagen wollte

Helmut Schmidt: Was ich noch sagen wollte

Nicht wenige Menschen streben nach Orientierung durch Vorbilder. Ein solches ist für viele Deutsche Helmut Schmidt. In Umfragen landet der Altbundeskanzler ganz vorne. Aber hat eigentlich auch er Vorbilder?

In seinem Buch „Was ich noch sagen wollte“ gibt Schmidt darüber Auskunft. Nach seiner Definition kann ein Mensch nur in einzelnen Bereichen, durch Eigenschaften und Tugenden, besonders und beispielhaft sein. Über die Schwächen müsse man hinwegsehen. Daher gebe es auch keine perfekten Vorbilder.
Stattdessen berichtet Schmidt über Menschen, die ihn auf seinem Lebensweg beeinflusst und geprägt haben. Als richtungsweisend stellt er die Lektüre von Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ heraus. Das Buch des römischen Kaisers, in dem innerliche Gelassenheit und bedingungslose Pflichterfüllung im Mittelpunkt stehen, habe ihm sein Leben lang als Leitbild gedient. Vor allem Letztere erscheint als ein wiederkehrendes Motiv Schmidt’schen Handelns. Als Politiker habe man die Pflicht im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln. Aber woher weiß er als Politiker, was dem Allgemeinwohl dient? Hier dienen Vernunft und Gewissen als moralischer Kompass. Allerdings könne beides irren. Selbstredend nicht bei ihm, sondern beispielsweise bei der Friedensbewegung der siebziger und achtziger Jahre.

Eine besonders wichtige Person war seine Ehefrau Loki.

Schmidts Vorbilder und lebensprägende Menschen kommen aus dem persönlichen Umfeld, der Politik, Philosophie, Kunst und Musik. Er nennt u.a. Johann Sebastian Bach genauso wie Deng Xiaoping und Max Weber. Eine besonders wichtige Person war seine Ehefrau Loki. Vielleicht auch deshalb ist sein Buch in den Medien vorwiegend auf eine einige Zeilen kurze Passage reduziert worden, in denen er eine Affäre mit einer anderen Frau erwähnt.

Dabei hätte man durchaus andere Punkte aufgreifen und hinterfragen können. Etwa das Kapitel „Acht Jahre Soldat“, in dem er das bekannte „Davon haben wir nichts gewusst“ seiner Generation wiederholt. Erst als Beobachter bei einem Prozess unter Führung des berüchtigten Richters Roland Freisler hätte er das ganze Unrecht des Nazi-Regimes erkannt. Vielleicht stand aber auch die von ihm zum Lebensinhalt erkorene Pflichterfüllung zu sehr im Vordergrund? Vielleicht irrten seine Vernunft und sein Gewissen wie bei Millionen anderen Deutschen?

Interessant erscheint zudem Schmidts Demokratieverständnis.

Dem Volk begegnet er mit reichlich Misstrauen. Zu leicht würden Menschen sich verführen lassen. Zu oft sei die Bevölkerung Stimmungen unterlegen. Demnach sei der Politiker zu allererst nicht dem Wähler, sondern dem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich. Da erscheint es leicht verwunderlich, dass er gleichzeitig in der Mitbestimmung der „kleinen Leute“ einen wesentlichen Grund für den sozialen Frieden in Deutschland sieht. Widersprüchlich erscheint auch sein Plädoyer für eine soziale Marktwirtschaft, seine Würdigung sozial engagierten Unternehmertums und seine Schelte für Manager, wenn er auf der anderen Seite ausdrücklich die Agenda 2010 lobt.

Am Schluss bleibt die Erkenntnis, dass man Helmut Schmidts Definition von Vorbildern nur unterstreichen kann. Einzelne Eigenschaften und Tugenden können als Orientierung dienen. In seiner widersprüchlichen Gesamtheit taugt kein Mensch als Vorbild.

 

Was ich noch sagen wollte
Helmut Schmidt
C.H.Beck, München 2015
239 Seiten
ISBN 978 3 406 67612 3

Stephan Petersen
Stephan Petersen
Artikel: 13

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