Warum malen Kinder Bilder?

Nahezu alle Kinder zeichnen gerne und ihre Bilder hängen zuhauf an Kühlschränke geheftet oder an Zimmerwänden von Eltern und Großeltern. Sie können bunt oder einfarbig sein, offenbaren aber jedes Mal auch etwas über die Kinder selbst.

Gestaltungsmotivation als Modell in der Kunstpädagogik

Zudem sind sie recht rätselhaft, undurchdringbar, nicht lesbar. Auch dann, wenn sie schon in der Schule sind. Viele Erwachsene erwarten jedoch, dass Kinder sich in ihrer Entwicklung Schritt für Schritt dem visuellen Realismus nähern.

„Bis heute sind diese Stufenmodelle in der Entwicklungspsychologie relevant“, sagt Katrin Höhne, Doktorandin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe (PHKA).

„Wir sollten jedoch in der Kunstpädagogik vor allem die individuellen Bedürfnisse des Kindes ins Zentrum stellen. Denn Kinder bringen gestaltend nicht nur etwas, sondern sich selbst hervor“, betont Höhne, die viele Jahre Lehrbeauftragte am PHKA-Institut für Kunst war und nun bei Institutsleiter Prof. Dr. Lutz Schäfer promoviert.

Sechs Gestaltungsmotivationen

Im Rahmen ihrer Doktorarbeit, die kurz vor dem Abschluss steht, hat sie ein Modell entwickelt, das sechs Gestaltungsmotivationen bei Kindern unterscheidet: Spur des Körpers (Manifestation), Materialerkundung (Exploration), Formfindung (Invention), Ausdruck labiler innerer Bilder (Expression), Erzählung stabiler innerer Bilder (Narration) und Nachformung äußerer Bilder (Imitation). Meistens seien mehrere dieser Gestaltungsmotivationen gleichzeitig wirksam, auch wenn „im Laufe der kindlichen Entwicklung häufig eine Motivation dominiert“, so Höhne.

Bei Kleinkindern beispielsweise überwiege häufig die Motivation, Spuren zu hinterlassen, während die mittlere Kindheit stärker dadurch geprägt sei, dass Kinder bewusst bildnerische Elemente arrangieren. „Manche Kinder lassen auch einzelne Gestaltungsmotivationen ganz aus, andere greifen frühere Gestaltungsmotivationen später wieder auf“, erläutert Höhne, die unter anderem an der Deutschen Schule New York Kunst unterrichtet hat und heute eine eigene Kunstschule in Karlsruhe leitet.

Prozesse der Selbst- und Weltverständigung

Erwachsene sollten bei den Gestaltungsmotivationen Manifestation, Exploration und Invention, die eher die Kleinkindphase sowie die frühe und mittlere Kindheit prägen, „weder nach dem Inhalt einer Gestaltung fragen noch Bedeutungszuschreibungen anbieten“, denn hier gehe es Kindern nicht darum, bewusst zu symbolisieren. Deshalb sollten Erwachsene auch nicht erstaunt sein, wenn Kinder ihre Gestaltungsprozesse einfach abbrechen oder kein Interesse an ihren Ergebnissen zeigen. Sie sollten sich viel mehr vor Augen halten, dass bildende Gestaltungsprozesse „Prozesse der Selbst- und Weltverständigung“ seien.

Gestaltend erfahren und erweitern Kinder ihre physischen und mentalen Möglichkeiten. Je offener kunstpädagogische Angebote ausgelegt seien, desto besser könnten Kinder ihren eigenen Suchbewegungen nachgehen. „Gerade Gestaltungsprozesse, die sich dem Verständnis entziehen, sind häufig Zeugnis einer besonders intensiven Material- und Selbstaufmerksamkeit“, unterstreicht Höhne.

Anthropologische Dimension

„Katrin Höhnes Modell der Gestaltungsmotivationen überwindet die etablierten entwicklungs­psychologischen Modelle zum Lesen der kindlichen Darstellungs- und Ausdrucksfähigkeit, die stets von der Relation der Bilder zur sichtbaren Wirklichkeit bestimmt sind. Sie öffnet mit der Frage ‚Warum machen Menschen Bilder?‘ eine anthropologische Dimension, die über den Kernbereich ihres Forschungsvorhabens hinausgeht und kunstwissenschaftlich und -didaktisch fruchtbar gemacht werden kann“, sagt Lutz Schäfer.

Über die Pädagogische Hochschule Karlsruhe

Als bildungswissenschaftliche Hochschule mit Promotions- und Habilitationsrecht forscht und lehrt die Pädagogische Hochschule Karlsruhe (PHKA) zu schulischen und außerschulischen Bildungsprozessen. Ihr unverwechselbares Profil prägen der Fokus auf Bildung in der demokratischen Gesellschaft, Bildungsprozesse in der digitalen Welt sowie MINT in einer Kultur der Nachhaltigkeit. Rund 220 in der Wissenschaft Tätige betreuen rund 3.400 Studierende. Das Studienangebot umfasst Lehramtsstudiengänge für die Primarstufe und die Sekundarstufe I sowie Bachelor- und Masterstudiengänge für andere Bildungsfelder. Die berufsbegleitenden Weiterbildungsangebote zeichnen sich durch ihre besondere Nähe zu Forschung und Praxis aus. https://www.ph-karlsruhe.de

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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