Die Geschichte der Pop- und Rockmusik steckt voller Missverständnisse. Fans schmettern die Songs ihrer Lieblingskünstler*innen voller Begeisterung mit. Fällt ihnen auch auf, dass die Texte manchmal irgendwie nicht passen, dass sie sich verhört haben oder sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurden? Wie genau das passiert und welche Liedtexte besonders oft für Verwirrung sorgen, hat viele spannende Gründe – all das erfahren Leser*innen in Michal Behrendts richtig unterhaltsamem Buch „Verhört – Verkannt – Vereinnahmt“.
Ein Bluessong, der von Bennie Benjamin, Gloria Caldwell und Sol Marcus geschrieben und zunächst von Nina Simone interpretiert und mehrmals gecovert wurde, ist selbst nicht davon verschont geblieben. Bereits Goethe wusste: „Keiner versteht den anderen so ganz“, auch wenn er die gleichen Worte nutzt.
Jeder Mensch besitzt unterschiedliche Erfahrungen, eine eigene Herkunft und verschiedene Lebenssituationen. Sie erzeugen unterschiedliche Interpretationen oder anders ausgedrückt, es geht um selektive Wahrnehmung. Doch auch die Texte selbst sind nicht immer eindeutig, sondern lassen unterschiedliche Deutungen zu.
Liedtext ist gut – Anlass ist falsch
Manche Lieder werden zu Anlässen gespielt, bei denen ihr Inhalt nicht passend ist. Der Autor zaubert einige Beispiele aus dem Hut, wie etwa den Song „Griechischer Wein“. Dieser wird wegen seiner eingängigen Melodie oft fälschlich als Gassenhauer und Sauflied abgestempelt. Doch der Text erzählt davon, wie das Land, in dem man lebt, sich fremd anfühlt. Und die Sehnsucht nach der Heimat besonders stark wächst, sobald griechische Klänge erklingen und ein Schluck Heimatwein den Gaumen berührt.
Manchmal ist das Verständnis völlig lösgelöst vom Text und Kontext, etwa beim Song von Peter Schilling »Major Tom«, der nicht wirklich als Torhymne taugt. Unbekannt ist, ob Bob Dylan Ameisen mag, doch sein Klassiker »Blowin’ in the Wind« hat eine Zeile, die oftmals falsch verstanden so gehört wird: „The ants are my friends“ anstatt „The Answer my friend“.
Gender Bender
Songs wechseln bei der gecoverten Version das Geschlecht und nicht selten entstehen dadurch Zuschreibungen sexueller Orientierungen, die gar nicht vorhanden sind. Manche nennen sie Gender Bender – diese können entweder bewusst eingesetzt werden oder ganz unbewusst passieren, wie etwa im Song „Let Your Loss Be Your Lesson“ von Alison Krauss, die zwar nicht lesbisch ist, auch wenn sie singt:
Once I had myself a good woman
But I just didn’t treat her right
I was always leaving
Livin‘ a party life…
Sie versteht es als Botschaft an die Männer und was passieren kann, wenn sie Frauen nicht gut behandeln…
99 1/2 Songs von Adele, den Beatles, EAV, Fettes Brot, Madonna, den Toten Hosen, Amy Winehouse uvm. hat der Autor aufgeführt, viele Lieder und viele Missverständnisse. Mit Humor und auf der Basis guter und umfassender Recherchen führt Michael Behrendt durch die wundersame Welt der missverstandenen Songs – vom harmlos-unabsichtlichen Auf-der-Leitung-Stehen bis hin zur gezielten Songmisshandlung. „Verhört, Verkannt, Vereinnahmt“ – eine Compilation, die insbesondere Musikfans lesen sollten und die sie zum Staunen und zum Lachen bringen wird.
282 Seiten
ISBN: 978-3-15-011543-5
Erschienen bei Reclam
Michael Behrendt, geb. 1959, ist freiberuflicher Lektor, Redakteur (PIER F Magazin), Musikjournalist und Sachbuchautor mit besonderem Blick auf Pop-Lyrics. Er betreibt den Songblog tedaboutsongs.60herz.de und schreibt über Pop und Rock auf faustkultur.de. Bei Reclam erschienen von ihm Mein Herz hat Sonnenbrand – Über schiefe bis irrwitzige Songtexte aus 60 Jahren deutscher Popmusik und zuletzt Playlist zum Glück. 99 ½ Songs für ein erfülltes Leben







