Nach seinem Rechtsstreit mit der Witwe seines Produzenten im Jahre 1968 hatte Van Morrison den Kopf wieder frei, um Musik zu schaffen, wie sie ihm persönlich vorschwebte. Noch im November des gleichen Jahres brachte Warner Brothers „Astral Weeks“ heraus. Obwohl das Album gute Kritiken bekam, verkaufte es sich zu Morrisons Leidwesen nur mäßig. Die Zeit hat dieses anfängliche Urteil glücklicherweise längst revidiert und „Astral Weeks“ genießt mittlerweile wahren Kultstatus. Das jetzt erschienene remasterte Album enthält neben den originalen Songs vier bislang unveröffentlichte Bonusstücke. Gleichzeitig ist das Album „His Band and the Street Choir“ aus dem Jahre 1970 als Remaster erschienen, das ebenfalls bislang nicht veröffentlichtes Material umfasst. Beide Alben sind auch in klangtechnischer Hinsicht sorgfältig remastert und überzeugen mit makellosem Sound.
„Astral Weeks“ ist ein Album voll schöner Poesie und tiefer Sehnsucht nach der fernen nordirischen Heimat und ihren vertrauten Landmarken, Begehren, Spiritualität und poetischen Kontemplationen über die Möglichkeit der Wiedergeburt und der mystischen Transformation pulsierender Lebensenergie.
„To lay me down in Silence and Easy, to be born again, to be born again“, singt der Ire mit melancholischer Stimme im titelgebenden Song, mit dem das Album eröffnet. Man fragt sich im Rückblick unwillkürlich: Ist dies noch der gleiche Van Morrison, der wenige Jahre zuvor als Leadsänger der Band Them sich durch R&B-Songs wie „Gloria“ und „Baby please don’t go“ gegrölt hatte und dann mit einem entschiedenen poplastigen „Brown-eyed Girl“ auf Platz 10 der Charts gestürmt war? Auf „Astral Weeks“ geht der Ire völlig andere musikalische Wege, verschmelzt virtuos und mutig Folk und Rock, Blues und Jazz-Kadenzen und Gospel, verbindet Gitarre, Saxophon, Flöte, Harfe und Vibraphon. Kein Wunder, dass in einer Zeit, in der Glamrock, Progressiver Rock, Artrock und andere Genres die Musikszene dominierten, Morrison keinen Platz im Musikmarkt fand, auch weil es keine griffige Kategorie gab, unter der sich seine so ganz anders klingende Musik subsumieren ließe.
Obwohl man das exzellente Album am besten als Gesamtwerk hört, ragen einige Stücke gleichwohl deutlich hervor. Der mit neuneinhalb Minuten längste, von einer melancholischen Abschiedsstimmung durchzogene Song „Madame George“ erzählt die Geschichte seiner rätselhaften Titelfigur mit liebevollen Kindheitserinnerungen. „…On the train from Dublin up to Sandy Row, Throwing Pennies at the bridges down below“…, singt Morrison mit hypnotisierender Stimme, die den Zuhörer in einen traumähnlichen Zustand versinken lässt – ein Effekt der bei dem Bonustrack noch stärker zutage tritt. In ähnlicher Weise schwingt im Song „Cyprus Avenue“ viel poetische Nostalgie mit, während das elegische Schlussstück „Slim Slow Slider“ die Verirrten und Verlierer dieser Welt und ihr unweigerliches Scheitern thematisiert. „I know you’re dying, baby, and I know you know it too.“, heißt es lapidar im Liedtext.
„His Band and the Street Choir“ ist im Vergleich hierzu ein ganz anderes Album. Kein Stück ist beispielsweise länger als fünf Minuten. Die Songs verströmen eine Mischung aus relaxtem Rock und Soul, angefangen von dem Eröffnungstitel „Domino“ bis hin zum sanften „Street Choir“, und sind deutlich leichter zugänglich. Dazwischen gibt es schöne Folksongs wie „Crazy Face“ mit einem leicht giftigen Saxophonsolo Morrisons, pianofokussierte Bluessongs wie „Give me a Kiss“ und reinen Blue-Eyed Soul mit Gospelchor und fetzigen Bläsern wie „I’ve been Working“ und „Call me up in Dreamland“.
Mit „Astral Weeks“ und „His Band and Street Choir“ legte Van Morrison die Grundlagen dessen, was später als „Celtic Rock“ sein genrebildendes Markenzeichen werden sollte. Van Morrsions außergewöhnlicher, nur schwer zu beschreibender Gesang, der auf beiden Alben wunderbar zur Geltung kommt, beindruckt und verzaubert unvermindert – damals wie heute.
VÖ: 30.10.2015
Label: Rhino Records / Warner Music