Unsere zehn besten Alben des vergangenen Jahrzehnts

Ein komplettes Jahrzehnt liegt hinter uns. Es hat viele tolle Musik aus den Genres Pop, Klassik und Jazz in unsere Ohren gespült. Daraus eine Auswahl zu treffen, ist uns nicht leichtgefallen. Deswegen sind diese zehn Alben ein unvollständiger Ausschnitt – aber trotzdem einfach hinreißend. Wir wünschen einen glücklichen Rutsch ins Jahr 2020 und noch viel tolle Musik fürs kommende Jahr.

2010
Arcade Fire: The Suburbs

Ein Konzeptalbum über so etwas Banales wie die Vorstädte? Klingt auf den ersten Blick ziemlich klischeehaft. Doch Arcade Fire erzählen auf ihrem Album nicht von den schmucken Einfamilienhäuser mit ihren Doppelgaragen und gepflegten Rasen, die vielfach als Inbegriff der US-Vororte gelten, sondern weben ein differenziertes, intensives Portrait des monotonen, trostlosen und gefühlskalten suburbanen Lebens. Kein Album des Jahres fing das Unbehagen und die Ängste nach der Finanzkrise von 2008 so präzise ein wie THE SUBURBS. Nach dem Crash kehrten viele Menschen damals in die Vorstädte zurück, doch diese erwiesen sich als leeres Versprechen. Nach den ekstatischen Vorgängerplatten „Funeral“ (2004) und „Neon“ (2007) wirken die kanadischen Musiker hier ruhiger und souveräner. Doch dadurch tritt die Band keineswegs auf der Stelle, sondern vermittelt mit ihren sechszehn Songs Gefühle und Gedanken auf authentische Weise.

2011
Adele: 21

„Turn my sorrow into treasured gold”, bittet Adele Adkins flehentlich im Song “Rolling in the Deep” – Geständnis und Prophezeiung zugleich. Denn ihr Album 21 war im Jahre 2011 der größte Pop-Erfolg, mit dem die junge Britin ihren Trennungsschmerz angesichts einer gescheiterten Beziehung in einen 13-Millionen-Hit verwandelte. Und der erstürmte weltweit die Charts. Der Sound des Albums ist hochmoderner Retro-Soul, versetzt mit einem Hauch Motown, Bossa Nova und raffinierten Piano-Pop der 1970er Jahre. Doch letztlich war es Adeles Stimme, die berührte: riesig, klassisch klingend, reif und von einer emotionalen Tiefe, die man der jungen Britin nicht zugetraut hätte und wie man sie seit der viel zu früh verstorbenen Dusty Springfield nicht mehr gehört hatte. Kein Album dieses Jahres lässt uns unsere Gefühle intensiver empfinden wie 21 – angefangen von dem schmachtenden “Someone like You“ bis hin zu dem herrlichen Rachesongs „Rumour Has It“, in dem Adele mit einem stampfenden Groove alles niederwalzt, was sich ihr in den Weg stellt.

2012
Bob Dylan: Tempest

Dylans 35. Album ist typisch für die erstaunliche Verjüngung, die der Barde in seinen späten Karrierejahren vollzog. TEMPEST sprüht nur so vor Witz und Geschichten, verpackt in einer raffinierten Mischung aus Folk- und Popmusik, von keltischen Walzern bis hin zu Doo-Wop-Balladen. Doch das Album zeigt auch überraschend düstere Seiten. Die Zahl der besungenen Leichen ist unglaublich hoch, angefangen von der epischen Nacherzählung des Untergangs der Titanic im Titelsong bis hin zu dem nur zum Schein lieblichen „Soon after Midnight“, wo Dylan einem rivalisierenden Liebhaber droht, er werde dessen Leiche durch den Schlamm ziehen. Auch 50 Jahre nach seinem Debüt ist Dylan eben immer noch der größte Barde des Rocks und ein verdammt knallharter Typ.

2014 Robert Plant„lullaby and…THE CEASELESS ROAR“

Keines der zehn Alben, die Robert Plant mittlerweile vorgelegt hat, ist ein Flop. Mit „lullaby and…THE CEASELESS ROAR“ ist ihm jedoch ein ganz großes Stück Musik gelungen. Hartgesottene Fans der Rocklegende Led Zeppelin, die erwarten, dass Plant hier zum hundertmillionstenmal „Whole Lotta Love“ herausschreit, werden sich schwerlich zu der Erkenntnis bewegen lassen, dass Plant mit diesem Werk sich jetzt in der wohl fruchtbarsten und spannendsten Periode seiner Solokarriere befindet. „lullaby and…THE CEASELESS ROAR“ ist ein zutiefst berührendes Album, das jeden Cent wert ist und immer mehr liebevolle musikalischen Details enthüllt, je öfter man es hört. Ist es deshalb besser als eines der Alben aus dem klassischen Erbe von Led Zeppelin, um dessen digitale Restaurierung und Archivierung sich derzeit Ex-Led Zeppelin Gitarrist Jimmy Page kümmert? Nein, natürlich nicht. Aber es ist wahrscheinlich besser als das Album, das Led Zeppelin gemacht hätten, würde die Band noch heute existieren.

2015
Kendrik Lamar: To Pimp a Butterfly

Natürlich war TO PIMP A BUTTERFLY ein Album so ganz nach dem Geschmack der Musikkritiker. Ein schwieriger Nachfolger des Million-Seller- Erfolges von „Good Kid, M.A.A.D. City“, voller wütender Ausbrüche in schrillen Free Jazz und mutig genug, um den Vorwurf der Selbstgefälligkeit zu riskieren; ein Album, das den Finger am Puls der Zeit hatte und klar Stellung bezog zu den Themen, die die Menschen beschäftigten, von sozialer Ungerechtigkeit bis hin zu den sozialen Medien. Klar, dass das Album Fünf-Sterne-Rezensionen en masse und Lobeshymnen wichtiger Musikerkollegen kassierte. Bedeutender ist indessen die Tatsache, dass einem so offensichtlich unkommerziellen Werk, das Lichtjahre von den damals aktuellen Hip-Hop-Trends entfernt war und dem Alt-Rap näherstand als alles andere in den Charts, ein so großer Erfolg beschieden war. Denn auf beiden Seiten des Atlantiks stand TO PIMP A BUTTERFLY auf Platz Eins der Charts, allein in den USA wurden innerhalb von drei Monaten eine halbe Millionen Exemplare verkauft.

2016
David Bowie: Blackstar

Welch ein musikalischer Abschied! Seine größte Leistung hob sich der „Cracked Actor“ für den letzten Vorhang auf. An seinem 69. Geburtstag tauchte David Bowie noch einmal kurz auf, um sein Meisterwerk zu enthüllen, ließ die staunende Welt ein paar Tage über dieses gewaltige Stück Musik rätseln und entschwand dann in den Himmel. Noch knapp vier Jahre nach seinem Erscheinen gibt BLACKSTAR bei jedem Hören neue Geheimnisse preis. Das Album ist eines der kühnsten und experimentierfreudigsten Projekte des „Starman“, das mit weltentrückten Balladen wie „Lazarus“ oder seinem verstörenden zehnminutigen Titelepos die Fachwelt und Fans in den Bann schlug. Bowie grübelt über die eigene Sterblichkeit, gequält, bittersüß und tieftraurig. Und doch verweigert sich der Brite jedem Anflug von Selbstmitleid. Selbst in seinem leidenschaftlichen Schlusswort „I Can’t Give Everything Away“, ein Song der genauso bewegt wie „Heroes“.

2017
American Dream: LCD Soundsystem

So etwas passiert nie, es sei denn, man heißt LCD Soundsystem. Die Band löst sich auf, kommt fünf Jahre später wieder zusammen und veröffentlicht mir nichts dir nichts ein bahnbrechendes, Karriere bestimmendes Album, das sich außerdem gut verkaufte. AMERICAN DREAM ist ein erwachsenes Clubalbum mit dem Herz und der Seele einer außergewöhnlichen Indie-Band und unüberhörbar viel Liebe für David Bowie. Vom meditativen Opener ‚Oh Baby‘ bis hin zum zermürbenden Techno-Track ‚Tonite‘ sind das nicht nur Songs zum Tanzen, sondern auch für das Leben und die Liebe.


2018
Till Brönner/Dieter Ilg
Nightfall

Viele Jazzfans, die Till Brönner und Dieter Ilg kennen, haben nur darauf gewartet. Die beiden Jazzmusiker haben ihr erstes gemeinsames Album mit dem Titel „Nightfall“ veröffentlicht und lassen darauf alles hören, wasTrompete/Flügelhorn und Bass zu bieten haben.
Schon die ersten Klänge von Till Brönners Trompete überzeugen, leise und behutsam wird das Thema des tollen Songs „A Thousand Kisses Deep“ von Leonard Cohen angespielt und von Ilgs Kontrabass aufgegriffen. Ohnehin ein Song zum Dahinschmelzen, setzen die beiden ohne Worte noch einige Schmelzpunkte hinzu.
Nicht alles, aber viel hängt im Jazz von der Kunst des Improvisierens ab. Die Themenvielfalt des Albums lädt geradezu ein, das Können der beiden Jazzer hier hörbar werden zu lassen. Feine Interpretation, außergewöhnlich arrangiert und überzeugend interpretiert sind alle bekannten und neu komponierten Stücke ein wahrer Jazzgenuß.


2019
Nils Landgren/Michael Wollny/Lars Danielsson/Wolfgang Haffner: 4 Wheel Drive

Zu diesem außergewöhnlichen Album hat jeder der vier Musiker je eine Eigenkomposition beigetragen. Die restlichen acht Stücke des Albums sind schöne Cover von bekannten Pop- und Rocksongs, zu deren Originalinterpreten sie eine besondere Nähe haben. Kein Song ist länger als vier bis fünf Minuten, so dass die Soli durch hohe handwerkliche Souveränität bestechen und präzise auf den Punkt gebracht werden müssen. Eine Kunst, die strenge Disziplin verlangt. Dass das deutsch-nordische Quartett diese meisterhaft beherrscht, zeigt sich nicht zuletzt an der Version des alten Police-Stücks „Shadows in the Rain“, die durch Danielssons abgrundtiefen Bass und Landgrens unprätentiöses bluesiges Tenorsaxofon unterstrichen wird. Dessen Eigenkomposition „4WD“ klingt wiederum so roh wie einst „Smells Like Teen Spirit“, von dem es offensichtlich inspiriert wurde und das sich als treibende Coda dieses höchst erfreulichen Albums bestens eignet. Hearing is Believing.


2019 – Igor Levit – Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven


Für Igor Levit
waren die 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven in den letzten 15 Jahren das wichtigste Projekt. Der 1987 in Russland geborene Pianist zog im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Als jüngster Teilnehmer gewann Igor Levit beim 2005 ausgetragenen International Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv gleich vier Preise, zudem war er als zweiter Preisträger beim International Maria Callas Grand Prix in Athen erfolgreich und gewann den International Hamamtsu Piano Academy Competition in Japan.

Standardbild
Hans Kaltwasser
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