Der schwedische Regisseur Ruben Östlund ist bekannt für seine leisen, unbequemen und eindringlichen Sozialkomödien. Sein von der Kritik hochgelobter Film „Play – Nur ein Spiel?“, der davon erzählt, wie eine afrikanische Unterschichtsbande weiße Mittelschichtskinder beklaut, spielt ironisch mit rassistischen Vorurteilen. „Höhere Gewalt“ ist eine böse Satire auf die Kleinfamilie und ihre stereotypen Rollenbilder. Für seinen Film „The Square“, der die blasierte Kunstszene veralbert, erhielt er 2017 beim Filmfestival von Cannes die Goldene Palme.
Auch Östlunds neuer Film TRIANGLE OF SADNESS, auf Deutsch „Dreieck der Traurigkeit“, wurde beim diesjährigen Filmfestival in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Er ist eine bitterböse, tiefgründige Gesellschaftssatire über die Dynamik der Macht, der die Welt der Schönen und Reichen gehörig auf die Schippe nimmt und dabei nicht vor drastischen Effekthaschereien und fäkalen Ekelszenen zurückscheut.
Der Filmtitel bezieht sich auf jenen Bereich der Stirn, in dem sich die Sorgenfalten bilden. In der Modebranche gilt das als ein physischer Makel für jedes Model, der die Verkaufsfähigkeit der Produkte, die es bewirbt, schwächt. Carl (Harris Dickinson), ein männliches Model mit intellektuellem Touch, hat ihn, wie einer der Juroren bei einem Casting bemängelt. Yaya (Charlbi Dean), seine attraktive Freundin, hat ihn nicht. Überhaupt ist sie besser im Geschäft als Carl, verdient mehr Geld. Liegt das womöglich daran, dass sie eine Frau ist? Warum muss er dann immer im Restaurant zahlen, fragt Carl und tritt damit eine längliche Diskussion der beiden über Gender-Gerechtigkeit los.
Der Großteil des Films spielt an Bord einer Luxusjacht, auf der sich Carl und Yaya, die sich als glamouröses Influencer-Paar profilieren wollen, eine kostenlose Kabine teilen. Im Gegenzug für die Gratispassage, die sie Yayas Status als Influencerin verdanken, müssen die beiden für einen ständigen Strom an pompösen Social Media Posts sorgen. Carl, dessen Bekanntheitsgrad offenbar bereits im Schwinden begriffen ist, steht dabei meist hinter der Kamera und knipst seine Freundin beim Sonnenbaden auf dem Deck, beim Champagnerfrühstück oder im abendlichen formellen Speisesaal, wobei er ihr perfekt gekochte Spaghetti in den Mund schiebt. Natürlich isst sie das Zeug nicht, schließlich verträgt sie kein Gluten!
Zu den Mitreisenden des attraktiven, aber etwas langweilen jungen Influencer-Paars gehören unter anderem ein russischer Oligarch (Zlatko Buric) , der sein Vermögen mit Gülle gemacht hat, ein verklemmter schwedischer Tech-Milliardär (Henrik Dorsin), ein älteres britisches Ehepaar, das seinen Reichtum einem schwunghaften Handel mit Landminen und Handgraten gemacht hat, sowie verschiedene Mätressen und Vorzeigefrauen. Als einer dieser fleischgewordenen Albträume (Sunnyi Melles) von der gesamten Crew verlangt, die Arbeit einzustellen und eine Badepause einzulegen, ist das zunächst ein als freundliche Geste getarntes Machtspiel.
Aber es ist auch eine sehr schlechte Idee, weil rohe Meeresfrüchte auf der Speisekarte stehen und die Zutaten für das Bankett am Abend mindestens eine halbe Stunde länger in der tropischen Hitze liegen, als sie sollten. Mit bösen Folgen, wie sich bald zeigt. Schlimmer noch, ein Taifun ist im Anzug, sie dringen in mit Piraten verseuchte Gewässer ein, und der Kapitän (Woody Harrelson) ist ein selbstverachtender Marxist, der sich ständig betrinkt und Noam Chomsky über die Gegensprechanlage liest. Kurz gesagt, beste Zutaten für ein Festmahl, das seine Überlebenden auf der Leinwand und die ZuschauerInnen im Kinosaal wohl nicht so bald vergessen werden. Als sich eine Katastrophe ereignet, verlagert sich die auf dem Schiff herrschende Machtdynamik auf die Reinigungsfrau Abigail (Dolly De Leon), die als einzige in der Gruppe über praktische Überlebensfähigkeiten verfügt….
TRIANGLE OF SADNESS ist ein Frontalangriff auf die Superreichen eine meisterhafte, verstörende Komödie, in der selbstverliebte Charaktere von einem schelmischen Kosmos gequält werden und bei der den ZuschauerInnen das Lachen im Halse stecken bleibt.
Harris Dickinson als schlaksiges männliches Model Carl, das gerne intellektuell und politisch fortschrittlich wäre, liefert eine durchweg solide Leistung ab. Woody Harrelson als trunksüchtiger Kapitän brilliert wie eh und je. Gleichwohl stiehlt ihm die südafrikanische Schauspielerin Carlbi Dean in der Rolle der Yaya die Show: Sie scheint sich der Welt, in der sie lebt, nur allzu bewusst zu sein, tut aber dennoch, was sie kann, um von ihr zu profitieren. Tragischerweise starb die Schauspielerin im August im Alter von 29 Jahren, nur wenige Monate nach der Cannes-Premiere von TRIANGLE OF SADNESS.