Die Behauptung, dass der britische Musiker Matt Johnson nicht gerade zu den produktivsten Vertretern seiner Zunft zählt, ist gewiss keine Übertreibung. Gerade einmal sieben Alben brachte er mit seiner Band The The bis zum Jahr 2000 heraus, in dem auch sein Werk „NakedSelf“ veröffentlicht wurde. Dann war Schluss. Vorläufig jedenfalls, denn heute, ein knappes Vierteljahrhundert später, ist sein neues Album erschienen. Es heißt ENSOULMENT und wurde von Warne Livesey mit produziert, der zuvor an Infected (1986) und Mind Bomb (1989) mit gearbeitet hatte. Aufgenommen wurde es in den Real World Studios in der Nähe von Bath in einer sechstägigen Session, bei der Johnson von seinen langjährigen Kollaborateuren James Eller (Bass), DC Collard (Keyboards), Earl Harvin (Schlagzeug) und Barrie Cadogan (Leadgitarre) unterstützt wurde.
Viel liebevolle Mühe hat Johnson auf die Texte der zwölf Songs verwandt. Der Grund, warum dieses Album so wortgewaltig ist, liegt in der Fülle der Themen, über die es spricht. Buchstäblich alles, was heute passiert, von der künstlichen Intelligenz, die die Welt erobert und unsägliche Gefahren heraufbeschwören droht, bis hin zum kleinen Problem eines gebrochenen Herzens, hier wird jeder Stein umgedreht.
Der Song „Down by the Frozen River“ erzählt von einem Arbeiterkind, das seinem Schicksal und den gesellschaftlichen Zwängen entflieht, und beeindruckt vor allem durch Collards exzellente Klavierpassagen. „I Hope You Remember (The Things I Can‘t Forget) ist eine schräge Rockabilly-Nummer, die die Verdinglichung der Lebensverhältnisse beklagt und diesem unheilvollen Trend die „Schönheit der herbstlichen Lichter im Oktober und November“ entgegenhält.
Im Song „Some Days I Drink My Coffee by the Grave of William Blake“ schlendert Johnson mit einem lakonischen Augenzwinkern über den Friedhof von Bunhill Fields im Norden Londons, wo der große romantische Dichter und Grafiker begraben liegt. Dabei nimmt er die sich zu ihrem Nachteil verändernde Stadt wehmütig zur Kenntnis.
Der Song „Linoleum Smooth to the Stockinged Foot“ ist eine düstere, dissonante Symphonie, die nüchtern einen pandemischen, in „Morphium und Jod getränkten“ Krankenhausaufenthalt dokumentiert. In „Zen & the Art of Dating“ schaut der Musiker dagegen jungen Verliebten über die Schulter.
Das Herausragende an diesem Album ist freilich gleichzeitig auch, was einen gewissen Mangel offenbart. Während die poetische Lyrik zutiefst bewegt, kann sich die Wirkung eines Albums, dessen zwölf Songs teilweise langatmige Passagen haben, zuweilen abnutzen. Zudem ist die Instrumentierung nicht besonders abwechslungsreich. Manche Songs sind funklastig, andere eher zurückhaltend, aber im Allgemeinen klingen sie nicht allzu unterschiedlich. Das führt dazu, dass einige Stücke praktisch nahtlos ineinander übergehen und sich manchmal ein wenig ziehen.
Gleichwohl ist ENSOULMENT im Großen und Ganzen ein echter Hörgenuss. Für eine Band, die seit den späten 1970er- Jahren zu den Pionieren des New-Wave-Pops gehört, weigert sich Matt Johnson nach wie vor, einfach nur eine weitere Nummer für die Diskografie zu sein. Dieses lebendige Album, das die kritischen Zeitgeist-Reflexionen der 19980er Jahre wieder auferstehen lässt, behandelt auf poetische Weise eine Vielfalt von Themen und gefällt mit großartiger Musik.
THE THE „Ensoulment“
Album-VÖ: 06.09.24
Label: Cinéola / earMUSIC
Vertrieb: Kontor New Media / Edel Germany
Das neue Album Ensoulment gibt es HIER