Von Urs Hösli
Sie sind (bald) zurück. In weniger als zwei Wochen erscheint nach erneuter langer Abwesenheit der Nachfolger zu „The devil, you + me“. Close to the glass. Und weniger als ein Meisterwerk erwartet niemand. Höchstens solche, die die letzten 20 Jahre Musikgeschichte verpasst haben.
Eigentlich haben sie gar nicht mal soviel dazu beigetragen, sind die Pausen doch mittlerweile immerhin 6 Jahre pro Album und trotz Allem denkt man nicht „Notwist? Da war doch mal was“, sondern „Notwist, na klar!“.
Was zunächst auffällt ist, wie deutlich und kraftvoll die Töne aus den Boxen perlen. Und wie viele es sind, wie dicht der Sound ist. Es tönt extrem frisch, aber eben auch extrem Notwistig. Wer noch nie etwas mit Micha Achers Gesang anfangen konnte, der wird hier vielleicht weniger zu nörgeln haben, weil er weniger desinteressiert klingt, weniger passiv. Aber die Stimme als lebendig zu bezeichnen, geht irgendwie auch nicht. Auch das musikalische Gewand ist im Grossen und Ganzen keine Neuerfindung. Weiterhin wechselt Gitarre mit pluckernden Computern. Doch halt… Streicher?
Die 47 minütige Reise gestaltet sich abwechslungsreich. Baut Signals zu Beginn eine fast schon cineastische Atmosphäre auf, so geben im Titelsong die Handclaps den leicht verzerrten Rhythmus vor und obwohl das Lied von Beginn weg kraftstotzend ist, bleibt die Grundstimmung durch Micha’s Gesang sehr melancholisch. Die Übersingle „Kong“ prescht nach kurzem Intro in bester Cure-Manier mit rasantem Tempo vor. Gitarren, Tamburin und ein überraschend offensiver Gesang. Es ist ein wenig schade, bleibt es bei bloss einem Kong. Wenn Naked Lunch schnellere Songs schreiben würden, so könnten sie wohl ganz ähnlich klingen. Die Klagenfurter kamen mir während der guten Dreiviertelstunde ein paar Mal in den Sinn… was grundsätzlich nicht schlecht sein kann.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=JpOYkK3o0jY[/youtube]
„Into another tune“ beginnt wundervoll, mit Streichern und einem vervielfachtem und verzögert abgespielten Gesang. Die gezupften und angespannten Streicher bringen eine gewisse Dramatik ins Spiel, welche Notwist gut zu Gesicht steht, aber der Song verliert sich danach leider in einem langgezogenen, verplemperten Schluss. Beim ersten Mal durchhören schien mir dies öfter der Fall zu sein. Sie bauen ein Lied auf und in der Hälfte lassen sie es kollabrieren oder auslaufen. Aber eigentlich kaum je als Lied enden.
Dies hat mich doch ein wenig frustriert. Und das war eigentlich schon immer ein wenig mein Problem mit Notwist. Weshalb Neon Golden für mich trotzdem eines der besten 2000er Alben wurde, weiss ich mir nicht so recht zu erklären. Vielleicht weil mit „Pick up the phone, One with the freaks, This room oder One step inside…“ einfach sehr viele zeitlos schöne Songs drauf waren. Und weil es halt doch nicht grad viel Musik für Kopf und Beine gleichzeitig gibt.
Auch die zweite Hälfte ihrer neuen Platte hat viele spannende Momente. „From one place to the next“ ist so viel Radiohead wie noch nie (was auf Kopfhörer ein faszinierender Trip ist). „Seven hour drive“ ist begraben unter verzerrten Gitarren. Man hört hinten ein Lied, welches in der Mitte nach vorne gespült wird, bis My bloody Valentine wieder den Ton angeben. Für mich ein absolutes Highlight.
Die zwei längsten Stücke sind am Ende platziert. „Lineri“ ist (neben dem Interlude) das einzige Instrumental. Es durchbricht das Songschema als langes, analoges Biest, es surrt, es vibriert. Es tönt organisch, warm, viel mehr als die Stücke davor. Es verändert sich permanent, intensiviert sich, wird schlänker. Doch es verliert sich, wie so vieles im Notwist Universum in seinen Tönen… denkt man sich, weil es so warm klingt, ist es vielleicht das überraschend späte Highlight der Platte, so ärgert man sich dann ein wenig darüber, dass es sich selbst genug ist und gar nicht mehr irgendwo hin möchte… aber das ist halt auch so ein Ding mit ihnen, sie deuten Lieder lieber an, als sie zu Ende zu führen.
Hands… your hands… on my face again… and I can’t help myself but go astray…
Klare Synthesizer-Töne, ein zerbrechliches Lied beendet „Close to the glass“… welches als Instrumental in die zweite Phase geht und sich wieder in Synthetische (oder doch nicht?) Streicher kleidet, es sorgt mit gezupften Saiten-Instrumenten wieder für einen Moment purer Klar- und Schönheit. Vielleicht entpuppt sich das mittlerweile 7. Album irgendwann als ihr wahres Meisterwerk. Bei Notwist weiss man nicht… dafür sind sie zu zurückhaltend, zu verkopft und vielleicht wird man beim Hören auch ein wenig zu traurig, um dies auf Anhieb zu erkennen. Es lässt mich immer ein wenig leer zurück… obwohl eigentlich so viel passiert zwischen Play und Stop.
Vorerst ist es ein wirklich schönes Album. Eines welches die bisherigen Grenzen, die sie sich gesetzt haben etwas erweitert, sich aber nie ganz aus seiner Comfort-Zone herauswagt. Aber sie müssen ja nicht. Notwist sind Notwist. Wahrscheinlich wollen wir gar nichts anderes, denn vom Anderen gibt es genug.
Mehr Notwist gibt es nur noch live zu erleben:
24.01.2014 Innsbruck, AT – Weekender Club
25.01.2014 Vienna, AT – FM4 Geburtstagsfest
24.02.2014 Wiesbaden, DE – Schlachthof
25.02.2014 Bielefeld, DE – Forum
26.02.2014 Berlin, DE – Heimathafen
10.03.2014 Stuttgart, DE – Wagenhallen
11.03.2014 Lyon, FR – Epicerie Moderne
12.03.2014 Nantes, FR – Stereolux
13.03.2014 Paris, FR – La Maroquinerie
14.03.2014 Lille, FR – Le Grand Mix
15.03.2014 Manchester, UK – The Deaf Institute
16.03.2014 Glasgow, UK – Mono
17.03.2014 Bristol, UK – The Fleece
18.03.2014 London, UK – Village Underground
19.03.2014 Brussels, BE – Botanique
20.03.2014 Cologne, DE – E-Werk
05.04.2014 Milano, IT – Magnolia
06.04.2014 Foligno, IT – Serendipity Club
07.04.2014 Rome, IT – Auditorium Parco della Musica
08.04.2014 Bologna, IT – Estragon
09.04.2014 Padowa, IT – Radar Festival
10.04.2014 Ljubljana, SL – tba
11.04.2014 Zagreb, HR – Mochvara
12.04.2014 Linz, AT – Posthof
13.04.2014 Munich, DE – Circus Krone
27.05.2014 Hamburg, DE – Laeiszhalle
28.05.2014 Amsterdam, NL – Melkweg
28.06.2014 St-Gallen, CH – St.Gallen Open Air
19.07.2014 Graefenhainichen, D – Melt! Festival
Photos: Cityslang