The Grateful Dead: 30 Trips Around the Sun

Die „Grateful Dead“ waren gleich in mehrfacher Hinsicht eine ungewöhnliche Erscheinung: Keine Band hat wahrscheinlich so viele Konzerte gegeben wie die Gruppe um den 1995 viel zu früh verstorbenen Gitarristen Jerry Garcias. Legendär war die Loyalität ihrer Fans, die der Gruppe vielfach von einem Gig zum anderen folgten und nicht selten ins Portemonaie griffen, um das Live-Albums eines Konzerts vorzubestellen, das noch nicht einmal gespielt war. Auch war es den Konzertbesuchern erlaubt, in sogenannten „Taping corners“ mitzuschneiden. Da die „Grateful Dead“ praktisch ohne Setlist arbeiteten und ihre Songs immer wieder anders spielte, konnte, wer der Band auf ihren Konzerten nachreiste, so sein ganz persönliches einzigartiges Live-Album zusammenstellen.

Zum 50. Jubiläum der legendären Band ist jetzt die feine Kompilation „30 Trips Around the Sun: The Definitive Live Story 1965-1995“ erschienen, eine aus vier CDs bestehende Sonderedition der Extraklasse, die 30 Live-Aufnahmen aus den schönsten Konzerten der Ausnahmeband enthält. Informationen zu den einzelnen Tracks bringt das der Box beiliegende, von dem „Dead“-Experten Jesse Jarnow geschriebene 22-seitige Booklet „The Whole Dead Catalog“. Zudem punktet die Edition mit guter akustischer Qualität.

Gut möglich, dass es auch diesmal das bei Kompilationen dieser Art übliche Genörgel geben wird, ob die zusammengestellten Songs tatsächlich die optimale Auswahl aus dem musikalischen Erbe der Band repräsentieren und man statt diesen Titel besser jenen aufgenommen hätte. Doch wenn man bedenkt, dass der Versuch, eine drei Jahrzehnte umspannende Werkgeschichte einer Band mit einem repräsentativen Song pro Jahr abzubilden, schon fast der berühmten Quadratur des Kreises gleicht, kann man nicht umhin einzuräumen, dass Rhino und die „Deads“ hier ganze Arbeit geleistet haben. Als Gesamtpakt fängt die Kompilation perfekt die Stimmung der „Grateful Dead“-Konzerte ein. Kaum einer der Songs der vier CDs ist unter sieben Minuten lang. Viele sind gar um ein Vielfaches länger als man sie vom Studioalbum her kennt, dank der Tendenz der Band, aus jedem Song eine Jam Session mit freien Improvisationen zu machen.

https://youtu.be/nmnY2FYt3HA

Zur Musik selbst lässt sich an dieser Stelle nicht viel sagen – entweder man ist im Bus oder draußen. Vom Opener der ersten CD „Caution Do not Stop on Tracks“, der einzigen Studioaufnahme der Band aus einer Zeit als sie noch als „Emergency Crew“ firmierte, über „Cream Puff War“ (1966) und „Uncle John’s Band“ (1974), „Shakedown Street“ (1981) bis hin zu „Ramble on Rose“ und dem schönen Dylan-Cover „Visions of Johanna“ aus den Jahren 1994 und 1995 auf der vierten CD wird die Entwicklung der „Grateful Dead“ umfassend dokumentiert. Dabei besticht insbesondere die zweite CD durch viele exzellente Perfomances. Der Track „Estimated Prophet“ aus dem Konzert im Capitol Theatre in Passaic, New Jersey, aus dem Jahre 1977 setzt mit seinem leicht psychedelischen Hauch Akzente, die ihn von den allgemeinen übrigen Rocksongs absetzen. Und der Song „Samson and Delilah“ aus dem Konzert im Providence Civic Center in Rhode Island aus dem Jahre 1978 ist mit seinem langen Intro und tollen Riffs ein echtes Highlight und gleichzeitig mit 17 Minuten das längste Stück der Edition.

Grateful-Dead-Covershot-px400„30 Trips Around the Sun: The Definitive Live Story “
ist ein großartiges musikalisches Dokument über eine der größten Rockbands der Welt. Und wem die vierstündige Reise um die Sonne nicht reicht, mag beherzt zu der großen 80 CDs auf 6500 Exemplare limitierte Retrospektive „30 Trips Around the Sun“ greifen, die freilich mit rund 600 EURO zu Buche schlägt. Die überlebenden „Deads“ und Angehörigen der verstorbenen Bandmitglieder werden es ihnen danken.

Titelfoto: Herb Greene

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Hans Kaltwasser
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