Tara Nome Doyle: „Værmin“

Viele Menschen haben Angst vor Insekten. Im Extremfall sprechen die Mediziner von Entomophobie. Keine Berührungsängste vor den Krabblern, die zu den literarischen Requisiten der schwarzen Romantik gehörten, zeigt offensichtlich die britisch-norwegische Musikerin Tara Nome Doyle. Schon als Kind sammelte die in Berlin geborene und aufgewachsene Künstlerin mit britischen und norwegischen Wurzeln, wovor sich ihre Freundinnen ekelten: Spinnen und Würmer. „Værmin“ – Ungeziefer heißt ihr zweites, heute erschienene Album, mit dem ihr nach ihrem von der Kritik gefeierten Debüt „Alchemy“ der Durchbruch gelingen könnte.

Alle Songs sind nach Tieren benannt, die als gemeinhin unerwünschte Schädlinge gelten: Blutegel, Raupen, Schnecken und Würmer. Produziert wurde das Album von Grammy-Preisträger Simon Goff, der hier auch Geige und Synthesizer spielt. Als weitere Gastmusiker*Innen sind dabei Tobias Humble (Schlagzeug, Gang of Four, Ghostpoet), Anne Müller (Cello u. a. Nils Frahm) und Larry Mullins (Schlagzeug, Nick Cave & The Bad Seeds, Iggy Pop).

Die Songs sind überwiegend sparsam mit sanften Klavierlinien, Streichern, pulsierenden Beats und einer Harmonium-Orgel instrumentiert und bilden das Fundament für Doyles ausdrucksstarken und intensiven und nuancenreichen Gesang. In ihren hohen Stimmlagen und kühnsten Phrasierungen erinnert sie bisweilen an Florence and the Machine, wenngleich sie auf den überbordenden Pomp und die Theatralik ihrer britischen Kollegin verzichtet.

Konzeptionell ist „Værmin“ ein symbolträchtiges, von Ambivalenzen geprägtes Album, bei dem es nicht wirklich um Ungeziefer geht. Blutegel, Raupen, Schnecken und Würmer wählt Doyle vielmehr als Metaphern für eine dunkle, zum Scheitern verurteilte, qual- und lustvolle Beziehung und für die hässlichen Gefühle, die in uns allen leben und die wir gerne unterdrücken.   

Alle Songs sind kleine Pretiosen. Der Titel „Moth“ beispielsweise, in dem die Musikerin das Thema einer toxischen Beziehung erforscht, ist eine schöne, minimalistische Klavierballade, deren spärliche Instrumentierung die Düsternis und Hoffnungslosigkeit die dunklen und verhängnisvollen Bindungen der Protagonisten wirkungsvoll untermalt.

„I’m like a moth drawn to your flame//the more you give the more I take//we rage and pillage in love’s name// but I don’t want your games anymore

Wie eine Motte werde ich von deiner Flamme angezogen//je mehr du gibst, desto mehr nehme ich//wir wüten und plündern im Namen der Liebe//aber ich will deine Spiele nicht mehr“,  

klagt Doyle wohl wissend, dass es kein Entkommen aus dieser alles verzehrenden Leidenschaft gibt.

Demgegenüber behandelt das Lied „‚Snail“ eine Spielart der Liebe, die einen nicht stürmisch überfällt und verschlingt, sondern die sich langsam, schneckengleich entwickelt und in die man sich zögerlich, immer tiefer und intensiver versenkt.

Doyles zweites Album „Værmin“  ist ein bemerkenswert reifes Werk einer jungen, sehr talentierten Musikerin mit eindringlichen, schönen Songs und bildreichen lyrischen Texten. 

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

Artikel: 3703

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.