Zwei siebenjährigen Mädchen lernen sich kennen und werden Freundinnen. Eine fast alltägliche Geschichte. Im Roman „Swing Time“ der Autorin Zadie Smith ist es der Tanz, das Ballett, das sie miteinander verbindet. Zudem ihre braune Hautfarbe. Beide haben ein Elternteil, der schwarz ist. Doch die Frage, was sie stärker verbindet, stellt sich gar nicht, sondern die andere Sicht der beiden Mädchen auf den Tanz und die Umgehensweise damit wird auch ihr Leben prägen. Will Tracey vollkommen sein und ihren Körper dem Tanz und dem Publikum darbieten, erforscht ihre Freundin Fred Astaires Tanzschritte, Rhythmen schwarzer TänzerInnen und historische Werke über den (schwarzen) Tanz.
Allein Tracey wird Tänzerin, die studierte Protagonistin wird Assistentin der berühmten Sängerin Aimee – eine Ikone der Pop-Welt, die das gesamte Leben der Ich-Erzählerin einnimmt. Diese gibt sogar, zum Entsetzten ihrer Mutter, die eigene Wohnung auf, um rund um die Uhr ihrer Arbeitgeberin zur Verfügung zu stehen. Die Mutter, eine verkopfte Feministin und Aktivistin, deren Heimat Jamaika den Nährboden ihrer kämpferischen Aktivitäten für Frauen mit ihrer „Hautfarbe“ liefert, zeigt wenig Verständnis für das Leben ihrer Tochter. Als diese jedoch mit Aimee in Afrika eine Schule gründen will, mischt sie sich, mittlerweile zum Parlamentsmitglied aufgestiegen, ein.
Die Ich-Erzählerin, erlebt die Menschen Afrikas anders, als ihre Mutter es ihr geschildert hat. Und doch gibt sie dieses Wissen, das klischeehaft und undeutlich zusammengezimmert ist, weiter und wird von den Einheimischen nicht ernst genommen.
Traceys Leben hat sich derweil in eine andere Richtung entwickelt und am Ende des Buches stehen sie sich wieder gegenüber. Gibt es noch eine Verbindung zwischen ihnen?
Die Autorin entwirft mit präzisem analytischen Blick die Freundschaft zweier Mädchen und deren Entwicklung zu jungen Frauen. Behaftet mit ungerecht verteilten Chancen und Bildungsmöglichkeiten leben sie, übrigens wie die Autorin, in einem Arbeiterstadtteil in London der 1970er und 80er Jahre. Nicht die einzige Ähnlichkeit mit der Autorin. Insbesondere die ersten Seiten „swingen“, weil sie das Thema Tanz und seinen unterschiedlichen Umgang der Mädchen damit erzählen. Geschickt versteht es die Autorin, zu einem anderen Thema überzuwechseln, indem sie die Ich-Figur Reisen unternehmen lässt, die sie schließlich nach Afrika führen. Hier kann Zadie Smith ihre kritische Sicht auf Prominente und NGOs liefern, die mit ihren Mitteln versuchen, die Armut in Westafrika zu vermindern, aber so gut wie nichts von den Menschen verstehen. Von dieser Verständnislosigkeit ist auch die Ich-Figur betroffen, die gespickt mit Legendenwissen ihrer Mutter nicht selten ins Fettnäpfchen tritt. Theorie wird immer von der Praxis übertroffen und nur dort, wo man sich mit Realität wirklich auseinandersetzt, ist sie verstehbar.
Ein ambitionierter Roman, lebhaft und brillant geschrieben, kritisch und witzig, eine Miniatur unserer verrückten, ungerechten Welt. Sehr lesenswert!
Swing Time
Zadie Smith
Kiepenheuer&Witsch
Titel der Originalausgabe: Swing Time
Aus dem Englischen von Tanja Handels
ISBN: 978-3-462-04947-3
Erschienen am: 17.08.2017
Zadie Smith wurde als Sadie Smith am 25. Oktober 1975 im Arbeiter-Stadtteil Willesden im Londoner Norden geboren. Ihre Mutter ist gebürtige Jamaikanerin, die 1969 nach England eingewandert ist. Smith besuchte die staatliche Malorees Junior School. Als Jugendliche nahm sie Unterricht im Stepptanz und erwog eine Karriere als Musicaldarstellerin. Mit 14 änderte sie die Schreibweise ihres Vornamens von Sadie zu Zadie. Ihr Studium der Englischen Literatur am King’s College an der Universität Cambridge finanzierte Sie sich als Jazzsängerin. Ihr Debut „Zähne zeigen“ wurde ein Bestseller und machte Zadie Smith weltweit berühmt. Ihr umfangreiches literarisches Werk wurde mehrfach preisgekrönt.
Heute lebt Zadie Smith mit Ihrem Ehemann, dem Dichter Nick Laird, und zwei Kindern überwiegend in New York City. Seit 2010 ist sie ordentliche Professorin an der New York University und lehrt Kreatives Schreiben. Außerdem publiziert sie Artikel und Buchrezensionen unter anderem für Harper’s Magazine.
Lesungen von Zadie Smith aus »Swing Time«, 2.10. in Berlin, 3.10. in Köln, 4.10. in Essen, 5.10. in Zürich