Subversives Design und Fotografien: zu sehen im NRW-Forum

Gleich drei Ausstellungen und ein breites Spektrum künstlerischer Kreativität sind in den Räumen des NRW-Forums zu besichtigen

Erstmals in einer umfassenden Einzelausstellung in Deutschland ist der Fotokünstler Matthias Schaller zu sehen. Damit führt sie ihn nach Düsseldorf zurück. Der Fotograf mit seinem coolen und klaren Stil versteht zu zeigen, was nicht sichtbar ist. Sein Spiel mit An- und Abwesenheit fordern die Grenzen des Genres Porträt und die eigenen Erwartungen heraus. Er sammelt Raumanzüge und fotografiert sie. Menschen befinden sich nicht darin, es sind vielmehr leere Hüllen. Dieses große Foto-Triptychon erwartet die Besucher*innen gleich beim Eintritt in die Ausstellung. Es will vielleicht auf die Unbegrenztheit und das von uns Menschen nicht direkt wahrnehmbare Weltall hinweisen.

Aus dem Zyklus „Die Mühle“ Foto der-kultur-blog

Es sind nicht die Personen auf die er seine Kamera richtet, sondern ihre alltägliche Umgebungen und Gegenstände. Die Fotografien Schallers besitzen dennoch Lebendigkeit. Wie beim Zyklus „Die Mühle“ (2001–2002), in welchem er die Wirkungsstätte von Bernd (1931–2007) und Hilla (1934–2015) Becher mit seiner Kamera abtastet. Auf diese Weise schafft er indirekte Porträts zweier der einflussreichsten Künstler*innen Düsseldorfs und greift ein Grundprinzip ihres Werks auf.

Die Farbpalletten großer Maler

Seit 2007 reist Schaller auf der Suche nach Farbpaletten berühmter Maler*innen um die Welt. Die Serie „Das Meisterstück“ versammelt großformatige Fotografien solcher Paletten. Kann erkannt werden, welcher Künstler sie benutzt hat? Wohl kaum, aber die Unterschiede sind sichtbar. Der französische Maler Eugène Delacroix teilte seine Farbpalette in Felder auf. Edvard Munch und Vincent van Gogh dagegen ließen die Farbspuren in einem wilden Durcheinander zurück. Die Palette von Paula Modersohn-Becker ist durch deren kräftige Strichführung zu erkennen. Warum sie so leuchten? Das ist der Technik des Fotografen zu verdanken. Er isoliert sie vor weißem Hintergrund und bearbeitet sie digital.

Zwischen 2004 und 2008 fotografierte Schaller für die Serie Purple Desk (Purpurner Schreibtisch) die Arbeitszimmer der höchsten Mitarbeiter der Zentralverwaltung der römisch-katholischen Kirche, der Kurienkardinäle des Vatikans. Schaller hat im Vorfeld alle persönlichen Gegenstände akribisch entfernt: Nicht das Abbild des Individuums, sondern das Porträt einer Institution steht im Fokus seines Interesses.

Die Serie Echokammer ist ein Porträt der Stadt Neapel, in der Schaller einen großen Kinderkult entdeckte. Von 2002 bis 2003 besuchte er dort Familien, um die Zimmer der Kinder zu fotografieren. Die meisten von ihnen hatten vorab akribisch aufgeräumt. Die penible Ordnung trägt zum gespenstischen Eindruck der Bilder bei, in denen die, die sie bewohnen, fehlen. Die Serie spielt mit der Ambivalenz von Schutz und Ausgeliefertsein, die auch die Lage Neapels mit seiner Nähe zum Vulkan Vesuv prägt.

Matthias Schaller

Geboren 1965 in Dillingen an der Donau, studierte der zwischen Wien und Mailand lebende und arbeitende Matthias Schaller Kulturanthropologie in Hamburg, Göttingen und Siena. Er schloss mit einer Arbeit über das Schaffen von Giorgio Sommer ab, eines der erfolgreichsten Fotografen des 19. Jahrhunderts. Schallers Arbeiten waren unter anderem im Rahmen der Venedig Biennale, im Museum of Modern Art, Rio de Janeiro, und im Victoria & Albert Museum, London, zu sehen.

Subversives Design ist kritisches Design

Foto: der-kultur-blog

Die Ausstellungsräume sind zum Warenlager umfunktioniert. Regalsysteme beherrschen den Blick und tritt man näher, so unterscheiden sich die Objekte von gewöhnlichen Konsumgegenständen. Statt künstlerischer Unikate zeigt die Gruppenausstellung Produkte zeitgenössischer Designer*innen, die sich mit drängenden Themen unserer Zeit wie Klimaschutz, Digitalisierung und Diskriminierung beschäftigen.
Subversives Design unterwandert gezielt unsere Konsumgewohnheiten und stellt das klassische Designsystem infrage.

Statt des Einzelstücks betont die Gruppenausstellung das Serielle, denn subversives Design hebt sich nicht vom Mainstream ab, sondern ist mittendrin. Die Designer*innen remixen, sampeln, intervenieren, hacken, drehen Funktionalitäten um und stellen dadurch Konsumgewohnheiten und Ansichten zu Themen wie Nahrung, Mode, Nachhaltigkeit und Klima in Frage.

Messerblock im Pausenraum von Max Siedentopf Foto: der-kultur-blog.de

Anna van Eck setzt am Regalsystem an, aus dem das Ausstellungsdesign besteht. Sie bezeichnet ihre Objekte als „destabilisierte Alltagsgegenstände“, zum Beispiel das Regal, eigentlich stabiler Ort der Aufbewahrung. Hier sind die Bretter schief oder an der falschen Stelle angebracht.

subversives Design
Anna van Eck – Tisch Foto: der-kultur-blog

Wir hatten kurz die Gelegenheit mit der Designerin über ihren Tisch zu sprechen, der statt Tischbeine eine in der Mitte angebrachte Platte besitzt, der mit Rundungen endet. An den beiden kurzen Seiten befindet sich unter dem Tisch eine runde Leiste, die bis auf die Oberschenkel der sich Gegenübersitzenden reicht und den Tisch stabilisiert. Ein Tisch für zwei, der jede Bewegung und Veränderung des anderen spürbar macht. Damit will Anna van Eck in einer zunehmend digitalisierten Welt den direkten Kontakt zum Mitmenschen noch deutlicher wahrnehmbar machen. Nur zu zweit erhält der Tisch Stabilität.

Max Siedentopf erstellte einen fiktiven Pausenraum (2021) für Arbeiter*innen, in dem alle Gegenstände nicht das halten, was sie zunächst versprechen.

subservises Design
Der Notausgang ist zugenauert und der Mitarbeiter will durch die Wand. Pausenraum von Max Siedentopf Foto: der-kultur-blog.de

MADE IN DÜSSELDORF #4: FRAUKE DANNERT / IRMEL KAMP / ISA MELSHEIMER / ARNE SCHMITT


Die Reihe „Made in Düsseldorf“ des NRW-Forums ist eine Kooperation mit der Stadtsparkasse Düsseldorf. Zeitgenössischen Künstler*innen, die durch ihr Studium, ihren Wohnort oder durch künstlerische Inhalte in Verbindung mit Düsseldorf und dem Rheinland stehen, werden hier ausgestellt. In der vierten Ausgabe mit dem Titel ARCHITEKTUR setzen sich die vier Künstlerinnen inhaltlich, technisch und konzeptuell mit Theorie und Geschichte der Architektur auseinander.

Zwischen utopischen Architekturentwürfen und der Realität der Nachkriegsmoderne

Die Aachener Fotografin Irmel Kamp (*1937 in Düsseldorf) nahm zwischen 1978 und 1981 systematisch Häuser in Ostbelgien auf, deren Fassaden mit Zinkblechen aus der nahegelegenen Zinkmine in La Calamine, Kelmis, verkleidet sind. Diese Zinkblechfassaden, von denen heute nur noch wenige existieren, geben der leicht hügeligen Landschaft des „Butterländchens“ eine spezielle ästhetische Prägung. Keine Fassade gleicht der anderen und das nahe Umfeld wird immer mit einbezogen, sodass sich Kenntnisse über Landschaften, Bewohner und ihre Lebensweisen ergeben.

Zinkblechfassaden im belgischen Butterländchen hat die Fotografin Irmel Kamp fotografiert. Foto: der-kultur-blog.de

Arne Schmitt (*1984 in Mayen) greift Details heraus und verhandelt auf abstrakte Weise politische und soziale Fragestellungen sowie die psychologischen Dimensionen, die in den Reaktionen der Bevölkerung auf bestimmte Architekturen zutage treten. In der 9-teiligen Serie Kunst nach 45 (2011) beschäftigt sich der Künstler mit Korrelationen zwischen öffentlicher Raumgestaltung, Architektur und Kunst der deutschen Nachkriegszeit.

Frauke Dannert collagiert Abbildungen aus Printmedien oder eigenen Architekturfotografien Foto: der-kultur-blog.de

Für die Details in ungeliebter Architektur interessiert sich Frauke Dannert (*1979 in Herdecke). Sie löst Fragmente aus ihrem Kontext heraus, um völlig neue Formen zu schaffen. Sie collagiert Abbildungen aus Printmedien oder eigenen Architekturfotografien, darunter verschmähte Architektur des Brutalismus, vervielfältigt sie, zerschneidet die Ausdrucke. Daraus setzt sie neue Bilder zusammen, wodurch sie das Potenzial traditioneller Formen der Architektur auslotet.

Isa Melsheimer (1968 in Neuss) formt aus Glasfragmenten neue Objekte, anhand derer sie Utopien und Formenvokabular der modernen Architektur thematisiert. In ihrer Arbeit Zwischengebirge (2009-2010) fügt sie zerschnittene Glasscherben zu alpinen Gebilden zusammen, die nicht zuletzt ein Zitat an die Gläserne Kette aufweisen, eine Gemeinschaft von Architektinnen und Künstler*innen. In ihrem Werk stellt sie unter anderem die Frage, welche Sehnsüchte, ästhetischen Präferenzen und Ideologien sich in unseren Gebäuden manifestieren.

Die drei Ausstellungen sind vom11. Februar bis 22. Mai 2022 im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen

Standardbild
Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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