STEINALT: Stones -Drummer Charlie Watts wird 80

Für viele Stones-Fans ist er das geheimnisvollste und faszinierendste Mitglied der Band: Charlie Watts. Seit fast sechs Jahrzehnten sorgt er am Schlagzeug mit präzisem, grundsolidem Takt für das rhythmische Fundament der Band. Doch der Drummer war schon immer irgendwie anders getaktet als seine musikalischen Mitstreiter.

Bürgerlicher Exzentriker

Er liebt eigentlich den Jazz, doch er spielt in der größten Rockband der Welt. Er lebt für die Musik, doch die fiebrige Hysterie der kreischenden weiblichen Fans war ihm stets ein Gräuel. Während der Rest der Band ihr Image als „Bad Boys“ der Rockmusik pflegte, wurde Watts schon früh sesshaft. Im Oktober 1964 heiratete er Shirley Ann Shepherd, eine Bildhauerstudentin des Royal College of Art, mit der er noch heute verheiratet ist. Seit Langem gelten die Watts als eines der liebevollsten Paare der Szene, etwas, das ungefähr so selten ist wie ein weißer Rabe.

Die lässigen, coolen Klamotten der 1960er-Jahre waren ihm verhasst. Er trug weder Turnschuhe noch Jeans, saß in den frühen Tagen der Stones gar im Jackett am Schlagzeug. Überhaupt gut gekleidet zu sein wie seine Vorbilder Elvin Jones, Duke Ellington und Kenny Clarke war ihm von jeher wichtig.

2012 nahm ihn die Zeitschrift „Gentlemen’s Quarterly“ in die Liste der „World’s Best Dressed Men Of The Year“ auf. Auch ist der stets im besten britischen Tuch gekleidete Exzentriker dafür bekannt, dass er sündhaft teure Vintage-Autos besitzt, obwohl er nicht fahren kann.

Dem orgiastischen Lebensstil vieler Rockmusiker konnte er jedoch nie etwas abgewinnen. Als sich die übrigen Stones bei einer US-Tournee auf dem Anwesen von Hugh Heffner mit den Bunnys vergnügten, spielte er stundenlang mit dem „Playboy“-Chef Billard.  Und während Mick Jagger und Keith Richards es nach dem Konzert in den Clubs und an der Hotelbar ordentlich krachen ließen, fertigte der gelernte Grafiker Skizzen von seinem Hotelzimmer. Alkoholabhängig und drogensüchtig wurde er erst in seiner Lebensmitte, als die übrigen Stones es langsam ruhiger angehen ließen. Ein Junkie wurde er trotzdem nicht, überwand die Heroinsucht mithilfe seiner Frau und großer Disziplin. Selbst seine Krebserkrankung hat er inzwischen erfolgreich überstanden.    

Als Drummer bei den Stones

Zu den Stones fand er eher zögerlich. Der am 2. Juni 1941 in London als Sohn eines Lastwagenfahrers geborene und in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Charles Robert Watts entdeckte seine Liebe zum Jazz mit dreizehn Jahren, hörte Miles Davis, Charlie Parker und Elvin Jones. Ein Jahr später bekam er zu Weihnachten von den Eltern ein kleines Schlagzeug und brachte sich das Spielen selbst bei.

Im Anschluss an die Schule studierte er Grafikdesign am Londoner Harrow Art College und nahm anschließend einen Job in einer Werbeagentur an. Zu dieser Zeit begann er in seiner Freizeit als Drummer für verschiedene Bands zu spielen, darunter die Alexis Korner’s Blues Incorporated, die Keimzelle der aufblühenden britischen Bluesszene. Hier lernte er auch Brian Jones, Mick Jagger und Keith Richards kennen, die Alexis Korner bald verließen, um eine neue Band zu gründen. Sie fragten Charlie Watts, ob er mitmachen würde. Doch der war zunächst skeptisch.

Als Werbegrafiker hatte er einen festen Job, verdiente gutes Geld. Erst nachdem die Band schon wenige Wochen nach ihrem ersten Auftritt Erfolg in der Londoner Bluesszene hatte, sagte er zu. Mit seinen mühelos swingenden Grooves („Down the Road Apiece“, „Brown Sugar“),  trockenen, straffen „Four-to-Four“- Rhythmen („Satisfaction“) oder mit dezentem, facettenreichen Impressionismus („Sympathy for the Devil“) ergänzte er die Band perfekt, ohne sich wie manche seiner Kollegen lautstark in den Vordergrund zu drängen. Ausgedehnte Schlagzeugsoli à la Ginger Baker oder John Bonham waren nicht sein Ding. Er sei in einer Tradition von Schlagzeugern aufgewachsen, bekannte er jüngst in einem Interview mit „The Guardian“, die den Drummer als Begleiter, nicht als Solist sehe.

Dieser bescheidenen Zurückhaltung entspricht die Größe seines Schlagzeugs. Während heutige Schlagzeuger nicht selten wuchtige 40-teilige Sets auf der Bühne spielen, ist Charlie Watts seinem aus sieben Teilen bestehenden Schlagzeug aus den 1960er-Jahren treu geblieben. Doch das bedient er mit lockerem, flüssigen Spiel, was ihn Platz 12 in der Bestenliste des „Rolling Stone Magazin“ einbrachte.

Rückkehr zum Jazz

Neben seinem Engagement bei den Rolling Stones ist Charlie Watts schon vor Jahren zu seiner ersten, lebenslangen Liebe, dem Jazz zurückgekehrt. In den späten 1970er-Jahren schloss er sich einer Boogie-Woogie-Band, Rocket 88, an, in der viele bekannte britische Jazz- und R&B-Musiker mitwirkten. 1986 veröffentlichte Watts sein erstes Soloalbum „The Charlie Watts Orchestra Live at Fulham Town Hall“. Zudem gründete er ein Jazz-Quintett, mit dem er zwei Alben als Hommage an Charlie Parker aufnahm, sowie zwei weitere mit einer Auswahl von Jazz-Standards aus dem Great American Songbook. Gemeinsam mit Jim Keltner machte er darüber hinaus ein Album, das das „Feeling“ nicht den Schlagzeugstil legendärer Jazz-Drummer wie Elvin Jones, Max Roach und Roy Haynes einfängt. 

Relevant wie eh und je

Trotz seines Alters bescheinigen Beobachter, dass Charlie Watts Spiel nach wie vor klangstark und grundsolide ist. Vor jedem Auftritt wärmt er sich gründlich auf. Halbvorbereitet auf die Bühne zu gehen, kommt für ihn, Vollprofi, der er ist, nicht infrage. Kein Wunder, dass die Millionen Fans in aller Welt ihn mögen. Keith Richard mag eine liebenswerte Legende, Mick Jagger die Rampensau par excellence sein. Doch Charlie Watts, der ist und bleibt, wie er ist: ein verdammt guter Schlagzeuger, ein nachdenklicher, besonnener Mensch mit einer Vorliebe für gute Kleidung, Liebe zur Musik und einfach cool. Möge er uns noch viele Jahre erhalten bleiben. Many happy returns, Charlie!

Hans Kaltwasser
Hans Kaltwasser
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