SPOCK’S BEARD: SNOW LIVE

2002 brachte die Progressive-Rock-Band Spock’s Beard ein Album heraus, das vielen als Meisterwerk der US-amerikanischen Musiker galt: SNOW, ein musikalisch ausladendes, fast zweistündiges Konzeptalbum über einen Albino-Jungen mit übersinnlichen Kräften, der eine komplizierte Metamorphose vom Außenseiter zum charismatischen Wunderheiler und Messias und wieder zurück zum Paria durchläuft. Nicht zu Unrecht wird das Opus, wenn es um die Würdigung von Konzeptalben geht, im gleichen Atemzug mit „Tommy“ der britischen Rockband „The Who“ und „The Lamb Lies Down on Broadway“ von Genesis genannt. Mit SNOW erreichten Spock’s Beard jedenfalls den Höhepunkt ihrer Karriere und feierten Erfolge, von denen sie zuvor nur geträumt hatten.

Dann verließ Neal Morse nach einem religiösen Erweckungserlebnis die Band, um eine Solokarriere mit christlichen Texten zu verfolgen. Morse war Hauptkomponist, Leadsänger, Keyboarder, Gitarrist und Gründungsmitglied der Band. Fans und Freunde von Morse waren schockiert, wie aus heiterem Himmel getroffen zeigte sich die Band. Es würde keine Tournee mehr geben, um das neue Album zu promoten, und auch keine offizielle Verabschiedung von den Fans. Ein Ausstieg, der viele an den unvermittelten Fortgang des Genesis-Sängers Peter Gabriel Jahre zuvor erinnerte.

Spock’s Beard haben indessen ohne ihren Frontmann mit einigem Erfolg weitergemacht, und auch Morse hat es nach seinem Ausstieg auf immerhin neun Soloalben gebracht. Dennoch haben die Fans immer auf eine Wiedervereinigung von Spock’s Beard geträumt und auch auf die Gelegenheit gehofft, SNOW in einer Live-Aufführung mit der kompletten Originalband zu erleben, so wie sie das Album damals eingespielt hatte. Dieser Traum ging 2016 auf dem „Morsefest“ in Nashville in Erfüllung, wo Spock’s Beard in der originalen Besetzung gemeinsam mit den aktuellen Bandmitgliedern das Konzeptalbum SNOW in voller Länge spielte. Der Mitschnitt dieses Ausnahmekonzertes ist seit dem 10. November 2017 unter dem Titel SNOW Live in verschiedenen Audio- und Bildformaten und Editionen erhältlich. Dem Kulturblog lag die Doppel-Blue-ray-Disc zur Besprechung vor.

Snow Live zeigt eine Band, die in Höchstform spielt und von der man nicht glaubt, dass sie anderthalb Jahrzehnte lang nicht zusammengespielt hat. Alle Musiker agieren mit großer Geschlossenheit und Souveränität. Die Musik zeigt Progressive Rock von seiner schönsten Seite: üppige Solos auf Keyboard und Hammond Orgel, schöner, mehrstimmiger Gesang, eindringliche, intensive Songs, die unter die Haut gehen, filigrane Gitarrenparts, kraftvolle rockige Passagen, entrückte Backing Vocals, wuchtiges Schlagzeugspiel der beiden Drummer und fetzige Bläsersätze.

Auch an Ton und Bild gibt es nichts zu meckern. SNOW Live überzeugt ohne Abstriche mit einem klar durchgezeichneten, druckvollen Sound, der den Hörer bei Stücken wie „Ouverture“ förmlich aus den Boxen anspringt und für wohlige Gänsehaut sorgt. Dazu kommt eine tolle, vorwiegend in Blau gehaltene Lightshow sowie eine gekonnt gemachte, abwechslungsreiche Schnitttechnik bei den Bildern, die dem Zuschauer erlaubt, den Musikern aus nächster Nähe auf die Finger zu schauen.

Fazit: SNOW Live ist eine tolle Konzert-DVD, die ein Muss ist für alle Spock’s Beard– Fans und mehr als eine kleine Entschädigung für alle, die bei diesem Konzert nicht dabei waren und den Auftritt der Band am 15. Juli 2016 auf der Freilichtbühne Loreley in St. Goarshausen verpasst haben.

Spock’s Beard
Release: „Snow Live“

VÖ: 10.11.2017
Label: Radiant / Metal Blade Records/ Sony Music
Formate: CD, digital

Standardbild
Hans Kaltwasser
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