Schilling & The Jazz Kids – Vilnius

Schauspieler wechseln berufsbedingt nicht nur gerne die Identität, indem sie in eine andere Rolle schlüpfen. Manche drängt es bisweilen auch in ein anderes Genre. Dann schreiben sie Bücher oder machen Musik, singen und spielen auch Gitarre dazu. Das geht nicht immer gut. Gelungene Beispiele auf dem internationalen Parkett sind etwa Scarlett Johansson, Jeff Bridges und Bruce Willis und hierzulande Ulrich Tukur, Yvonne Catterfeld oder auch Nora Tschirner. Nicht zu vergessen Herbert Grönemeyer, der sich indessen seit Jahren in der Musik fest etabliert hat und offenbar gar nicht mehr zum Film zurückwill.
Manchmal enden jedoch solche Versuche, aus dem angestammten Fach auszubrechen, auch mit einem bösen Desaster. Dann sind Spott und Häme der Kritiker nicht weit. Siehe die musikalischen Gehversuche der Ochsenknechts oder des brummigen Tatort-Kommissars Axel Prahl, deren Erfolge freundlich gesagt überschaubar blieben.
Und jetzt Tom Schilling, der im deutschen Kino zu einer echten Größe geworden ist. Sein vor kurzem erschienenes Debütalbum VILNIUS enthält 10 Songs, die Schilling mit einer Ausnahme selbst geschrieben und mit seiner Band The Jazz Kids eingespielt hat. Der Bandname verführt zu der falschen Annahme, Schilling mache jetzt in Jazz. Doch seine Musik bewegt sich vielmehr zwischen Brecht/Weill und Nick Cave, weckt mit den assoziativen Songtexten Erinnerungen an die frühen Element of Crime. Wie Sven Regener zeigt sich auch Schilling dabei als wacher und sensibler Beobachter. Seine Protagonisten sind Melancholiker und zerrissene Zweifler, die den bitteren Abgesang auf die verflossene Liebe anstimmen, über zwischenmenschliche Abgründe singen oder über das Glück, das sich zu rasch verbraucht, klagen. Die Arrangements sind durchweg sparsam, umfassen Gitarre, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug. Giftige Akkorde und verzerrte Gitarren bringen häufig das Chaos und die Zerrissenheit menschlicher Gefühle gut zum Ausdruck. Der Song „Kinder“ ist eine gelungene Coverversion des Protestliedes von Bettina Wegener, der freilich in Schillings Interpretation ganz ohne das Pathos des Originals auskommt und zu einem schlichten Liebeslied wird.
Elf Jahre hat Tom Schilling für sein Debüt gebraucht. Eine lange Zeit. Doch die hat sich gelohnt. VILNIUS schielt gottlob nicht nach dem kommerziellen Erfolg in den Charts, sondern klingt authentisch, unverbraucht und ist persönlich, ist Musik, bei der das Zuhören lohnt und die sich wohltuend vom Mainstream abhebt.

„Vilnius“ von Tom Schilling & The Jazz Kids

ist am 21. April 2017 bei Embassy of Music/Warner & Zebralution erschienen.

„VILNIUS TOUR“ über Selective Artists:
02.05. Hannover, Musikzentrum
03.05. Münster, Gleis 22
04.05. Leipzig, UT Connewitz
05.05. Gera, Songtage
07.05. München, Strøm
08.05. Heidelberg, Karlstorbahnhof
09.05. Frankfurt, Brotfabrik
10.05. Köln, Stadtgarten
11.05. Hamburg, Nochtspeicher
12.05. Berlin, Columbiatheater

Foto: Alexandra Kinga Fekete

Standardbild
Hans Kaltwasser
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