Das Gemälde eines Künstlers, das sie während eines Besuchs in Paris zufällig entdeckt, lässt die Protagonistin des Romans „Der andere Ort“ nicht mehr los. Sie erkennt etwas in ihm, ohne benennen zu können, was es ist. Als sie die Kunstgalerie verlässt, überfällt sie der Eindruck, in den Gemälden einen Sehnsuchtsort gefunden zu haben, der ihr Veränderung und Freiheit verspricht. Obwohl sie mit Tony, der Teil ihres Lebens ist, in ihrem Haus in einer abgelegenen Küstenregion glücklich ist.
Als sie dort wieder ankommt, entschließt sie sich, den Künstler in ihr Cottage, das gleich neben ihrem Haus als Gästehaus fungiert, einzuladen. Sie hofft, seine Gegenwart und sein künstlerischer Blick würden ihre geheimnisvolle Sehnsucht stillen, die einsame Marschlandschaft seine Kreativität fördern, sodass sie beide gleichermaßen von diesem Besuch profitieren.
Frustriert bemerkt die Frau jedoch, dass L. sie kaum registriert und damit ihr Selbstbild infrage stellt. Er sieht sie nicht, kann sie deswegen auch nicht malen. Stattdessen malt er ihren Mann und auch ihre Tochter. Doch sie will sich nicht damit abfinden und versucht herauszufinden, warum er sich sträubt. Ist sie zu wenig attraktiv oder fordert sie seine Kreativität nicht ausreichend heraus? Doch schließlich ist es der Künstler, der körperliche Schwächen zeigt …
Im Roman „Der andere Ort“ beschreibt die Autorin Rachel Cusk die Sehnsucht nach einem Ort, der zwar deutlich erkennbar, doch nur schwer zu erreichen ist. Es geht um Wahrnehmung der eigenen Identität, die manchmal wie ein Vexierbild zwischen zwei Möglichkeiten hin und her springt. Um weibliche Willenskraft, männliche Selbstüberschätzung, verdeckte Sehnsüchte und den immerwährenden Wunsch nach Veränderung, bei dem uns Kunst helfen, aber auch selbstzerstörerisch wirken kann. Grandios und tiefgründig erzählt – unbedingt lesenswert!
Rachel Cusk – Der andere Ort
Roman
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Bibliografische Angaben
Erscheinungstermin: 01.11.2021
978-3-518-43018-7