Rabenfrauen von Anja Jonuleit

Die Hitze ist unerträglich und Anne hat Mühe, den Weg ins Moor zu finden. Sie will an den Ort, an dem Maximilian tödlich verunglückt ist, im Moor eingesunken und ohne Hilfe, konnte er sich nicht mehr befreien. Anne kann es noch immer nicht richtig begreifen, dass er tot ist, und jetzt auf dem Heimweg ist die Verzweiflung darüber so groß, dass sie haltmachen muss und ihr übel wird. Sie bekommt Hilfe von einer jungen Frau, die noch nicht lange hier zu wohnen scheint. Denn Anne kennt hier die meisten Nachbarn. Es ist Renate, die aus Chile hierher gekommen ist und ein perfektes Deutsch spricht. Wie kann das sein? Erst nach und nach erfährt Anne Näheres und auch, dass ihre Mutter Ruth in deren Lebensgeschichte involviert ist. Denn hätte Ruth damals im Sommer 1959, ihrer Freundin Christa alles erzählt, dann wäre der Freundin vielleicht ein schlimmes Schicksal erspart geblieben.

Ruth und Christa, die sich wie jeden Sommer ihr Taschengeld mit Kartoffelkäfersammeln aufbesserten und danach ein erfrischendes Bad im Bach nahmen, konnten gar nicht anders, als Notiz von dem Zeltlager nehmen, das plötzlich unweit von den Feldern aufgebaut wurde und einer radikalen religiösen Sekte dazu diente, neue Mitglieder unter den Jugendlichen zu rekrutieren. Aber davon ahnten die beiden Freundinnen zu dieser Zeit noch nichts. Dort trafen sie auf den großen, muskulösen und sehr blonden Erich und beide verliebten sich in ihn.

Als Ruth bei einer nächtlichen urchristlichen Betstunde das Weite suchte, trifft sie auf Erich und es kommt zu einer stürmischen sexuellen Begegnung. Doch Ruth muss schnell erfahren, dass nicht mehr daraus wird. Während sie deutlich Abstand von den gemeinsamen Veranstaltungen im Zeltlager nimmt, steigerte sich Christa immer weiter in das Gedankengut und die religiösen Überzeugungen des Paul Schäfers hinein, immer gepaart mit der Hoffnung, auch bald mit Erich für immer eng verbunden zu sein. Und Ruth sagt ihrer Freundin nicht, was sie mit Erich erlebt hat.

Als Christa eine Ausbildung in Siegburg bei einer dort angesiedelten Sektenorganisation machen will und sich wenig später entschließt, „Onkel Paul“ und Erich nach Chile zu folgen, kann Ruth nichts tun, um ihre Freundin davon abzuhalten. Christa verschwindet aus dem Leben ihrer Freundin, als hätte sie der Erdboden verschluckt…

Colonia Dignidad ist so bekannt wie berüchtigt. In ihrem sehr bewegenden Buch ist es der Autorin Anja Jonuleit gelungen, die schrecklichen  Geschehnisse in Chile rund um den Sektenführer Paul Schäfer packend zu beschreiben und damit stellvertretend das Schicksal vieler Menschen zu erzählen, die sich nichtsahnend in die Hände eines Ungeheuers begegeben haben: Paul Schäfer, der mit seinen überzogenen urchristlichen Vorstellungen und Foltermethoden die Persönlichkeit der Menschen nahezu zerstörte, Freundschaften, Familien, Liebe, Sex  und Geborgenheit nicht zuließ, sich aber selbst an zahlreichen Jungen verging.

Ein Buch, das den Leser/die Leserin nicht so schnell loslässt und den Opfern dieser Sekte ein würdiges Andenken setzt. Unbedingt lesenswert!

Rabenfrauen von Anja Jonuleit

Auch erhältlich als: epub

Verlag: dtv premium

Originalausgabe

ISBN 978-3-423-26104-3

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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