Philosophie des Orgasmus – das höchste Gefühl

Es gibt im Leben eines Menschen vielleicht viele Höhepunkte, doch nur einen, der unabhängig von sozialem Status, geografischer Lage oder Herkunft, den Menschen glücklich machen kann. Er dauert nur einen Bruchteil der Zeit, die wir täglich für alles Mögliche aufbringen müssen. Es ist der Orgasmus. Eine zutiefst menschliche Angelegenheit.

Die Wissenschaften haben seine Funktion und Bedeutung aus biologischer, psychologischer, soziologischer und anthroplogischer Sicht behandelt. Bisher fehlt eine jedoch, die philosophische Betrachtung dieses Phänomens. Die Philosophie will die Erkenntnis über das menschliche Sein erweitern und übersteigt die sinnlich erfahrbare Welt, indem sie diese deutet.

Das Dauerthema Sex und damit auch den Orgasmus in den Medien in einen philosophischen Diskurs zu überführen, ist jedoch schwierig. Wie der Autor im Vorwort seines Buches bemerkt, fehlt gänzlich die Sprache dafür. Doch Claus Steffen Mahnkopf findet die richtigen Worte.

Die biologische Seite scheint die Einfachste zu sein, doch hier liegt bereits der erste Fehler. Denn was nutzt die biologische Einfachheit, wenn sie durch religiöse und pädagogische Überzeugungen daran gehindert wird, ihre Erfüllung zu finden. Der „Solorgamus“ durch Masturbation galt lange noch bis in unsere Zeit hinein als schädlich. Die Begründungen dafür, erschreckend und für viele verhaltensregulierend. Noch 1965 konnten die Rolling Stones überzeugend beklagen „I can’t get no satisfaction“. Wenngleich es dafür verschiedene Gründe gibt. Die, wie wir alle wissen und der Autor hinreichend ausführt, durch religiöse, gesellschaftliche und kulturelle Schranken behindert werden.

Davor hat die Evolution dafür gesorgt, dass wir ihn als fundamentalen Zugang zu uns und zum Anderen finden können. Doch wenn uns der Orgasmus auch sprachlos macht, so gebrauchen wir die Sprache doch, um von und über diesen Höhepunkt zu spekulieren, zu erzählen – ja, eine Kultur hervorzubringen.

In der Kunst zeigt sich aufs Schönste das Versprechen des sexuellen Höhepunktes. Literatur, Lyrik und Prosa beschreiben die Sinnlichkeit dieses Augenblicks. Berühmte Künstler versuchen die Dynamik des Geschehens bildhaft zu fassen und auf die Leinwand zu bannen. Am Besten gelingt es jedoch der erotischen Qualität der Musik, die Phasen des Orgasmus zu übersetzen. Begehren, Liebe und als Höhepunkt der Orgasmus in einer Zweierbeziehung, die nicht selten mit dem Tod endet. So etwa Wagner in seiner Oper „Tristan und Isolde“. Mit seiner orgiastischen Musik bildet er diese Steigerung der Gefühle ab. Dies tut er in seiner „Venusbergmusik“ am Direktesten und Deutlichsten.

Den Höhepunkt gleichzeitig mit seinem/seiner Liebsten zu erleben ist ein großes Glück und gelingt nicht immer. Doch Claus-Steffen Mahnkopf gibt hier selbstverständlich keine Tipps, vielmehr kommt er zu einem entscheidenenden Punkt, wie das Geschlechterverhältnis, die jahrhundertelange Unterdrückung der Frau, sich auf das Erleben des Orgasmus ausgewirkt hat. Wie eine emanzipatorische Gesellschaft zu einer befreiten und reifen Liebeskultur führen kann.

Deren Voraussetzungen liegen auch darin begründet, dass Mann und Frau gleichberechtigt, aber dennoch verschieden sind, gerade und besonders auch, was den Orgasmus betrifft: Ist er beim Mann auch ein funktionales Geschehen, so ist er bei der Frau biologisch funktionslos, deswegen auch irgendwie uferlos – die Frau, das andere Geschlecht, wie Simone de Beauvoir es ausdrückte. Der Autor erweitert dieses Anderssein, indem er es geheimnisvoll, komplex, nichteindeutig, wandelbar (….)“ nennt. Die Feminisierung des männlichen Orgasmus könnte den Mann aus seiner Funktionsbeschränkung heraushelfen und den „Duorgasmus“ noch berauschender machen.

Eine Philosophie des Orgasmus lässt uns staunen darüber, dass die Evolution uns ozeanische Freude ermöglicht, nur ein Begriff unter vielen, die Menschen über diesen glückseligen Zustand äußerten. Am Ende des Buchs ist aus dem Staunen die Erkenntnis über die Vielschichtigkeit dieses Phänomens geworden, die den Orgasmus nun sinnhaft deuten kann. Ein Buch, das längst hätte geschrieben werden müssen.

Orgasmus
Philosophie des Orgasmus
Claus-Steffen Mahnkopf
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-46934-7

Ingrid
Ingrid

Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen.
Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.

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