Philipp Hochmair ist Künstler mit Leib und Seele. Theatralisch auf der Bühne im besten Sinne des Wortes. Nicht, wie der Ausdruck im Alltag Verwendung findet. Der hochkarätige Schauspieler zeigte bei der gestrigen Abendvorstellung im Rahmen des ASPHALT Festivals sein absolut herausragendes Talent.
Der Publikumsraum ist voll besetzt, und der lang ersehnte Regen prasselt auf das Dach der „Glashalle“ des Düsseldorfer Weltkunstzimmers. Gegeben wird„Amerika“ von Franz Kafka. Es handelt sich um die Adaption des Romans „Der Verschollene“, in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts hellsichtig die Figur des „Vertriebenen“ Karl Roßmann durch die Eltern, aus Europa nach Amerika beschrieben wurde. Ein Heimatloser, der Amerika nicht freiwillig als Ort der Verheißung aufsucht. Dort bleibt Karl Roßmann glücklos und findet seinen sozialen Abstieg.
Ein komplexes Romanfragment mit vielen Rollen, das in einer Bearbeitung des Künstlers gemeinsam mit Regisseur Bastian Kraft bereits 2009 im Hamburger Thalia-Theater aufgeführt wurde und nur eine Besetzung hat – Philipp Hochmair.
Hochmair ist nicht nur Roßmann, wie die Zuschauer schnell bemerken, sondern auch der Heizer, Onkel Jakob, die Halunken Robinson und Delamarche. Als Karl ruft er zunehmend verzweifelt immer wieder ins Off – „Ich bin Karl Roßmann, ich habe mich verirrt!“ Hochmair hat auf der Bühne nur einen Stuhl und eine Stehlampe als Requisite. Und wie bei Philipp Hochmair nicht ungewöhnlich, verarbeitet er die Situation des Abends, dass es deutlich hörbar regnet, in seine Rolle mit ein. Das Bild von Amerika, das sich Karl Roßmann, ein naiver 16-Jähriger gemacht hat, ist aus mythischen Erzählungen, Projektionen, Fakten und Fantasien gewachsen. Er muss alleine auf sich gestellt in diesem fremden Land zurechtkommen. Angst, Unsicherheit, vielleicht auch eine Prise Abenteuerlust sind die Gefühle, die Hochmairs Karl ausstrahlt.
Während der Inszenierung, die in sieben Kapiteln eingeteilt ist, reißt Philipp Hochmair die Theaterbesucher aus der harmlosen Rolle des Betrachters. Der erlebt mal gerührt, betroffen oder amüsiert, aber immer beeindruckt mit, wie der Schauspieler nicht mehr nur auf dem Stuhl sitzend, sondern wie ein Akrobat kopfabwärts über diesem hängend, geräuschvoll auf den Boden fallend, liegend, hockend, flüsternd, schreiend und schließlich nur noch im schwarzen Slip laufend – das ganze Elend der menschlichen Begegnungen des Karls darstellt: Die vagen Hoffnungen, Widersprüche, falschen Verheißungen auf ein besseres Leben, das Kafka seinem Protagonisten jedoch versagt hat.
Das Ende ist so bezaubernd wie das ganze Stück verstörend. Denn wer ist nicht von dieser rasanten Reise des Karls alias Philipp Hochmair mitgenommen? Die heute wie eine Parallele zu einem Flüchtlingsschicksal unserer Zeit wirken muss.
Dem ehemaligen Wiener Burg Schauspieler gelingt ein hoffnungsvoller Schluss, der das Publikum amüsiert. Er schiebt die, wie große Stalltüren wirkenden Türen beiseite und läuft ins Freie, die Arme weit auseinander gebreitet, durch die Pfützen, die der Regen hinterlassen hat. Verschwindet und kommt zurück. Das Publikum, ohnehin schon begeistert von der Vorstellung, ist nun kaum noch zu beruhigen und klatscht, trampelt, ruft und johlt. Und Philipp Hochmair kommt noch ein paar mal zurück, verbeugt sich und verschwindet.
Ein unglaubliches Theatererlebnis, das man so schnell nicht vergisst. Heute Abend ist ein weiterer Soloauftritt von Philipp Hochmair zu sehen. „Der Prozess“ von Kafka dürfte die Zuschauer*innen genauso fesseln, wie der gestrige Abend es getan hat.
Titelbild: Philipp Hochmair © Rüdiger Schall