Ein Bus mit beschlagenen Scheiben, verschwitzte Menschen, eine fröhliche Schaffnerin im Engelskostüm, über allem legt sich hörbar ein Raucherhusten, der an das baldige Ende des Hustenden denken lässt. Wenige Minuten später stoppt der Bus und der hustende Mann wird gebeten, eine Hilfestellung zu leisten, die sich als Todesschuss herausstellt. Kirill Serebrennikovs Eröffnung des Films PETROV’S FLU ist verstörend. Vermittelt sie etwa gleich zu Beginn Hinweise auf die russische Seele? Wohl kaum. Eher auf das unwirtliche, winterliche Russland, das auch für das Fieber verantwortlich ist, das nicht nur Petrov (Semyon Serzin), sondern auch seine Familie plagt.
Es folgen verrückte Sexszenen in den schmalen Gängen zwischen Bücherregalen einer Bibliothek. Gleich nebenan diskutieren Senior*innen heftig über einen Roman. Blutige Schlägereien führt die Bibliothekarin Petrova (Chulpan Khamatova) aus, die behauptet, Boxen hätte sie übers Kino gelernt. Lange Einstellungen und eine Vielzahl von ziemlich eigenwilligen Szenen, die dem Fieberwahn der Protagonisten zuzurechnen sind, machen den weiteren Verlauf des Films aus.
Da hilft nur starker Alkoholkonsum, der neben allgemeinem Elend auch hörbare Verzweiflung an die Oberfläche bringt. Petrov lebt getrennt von seiner Frau Petrova (Chulpan Khamatova), wobei es im Film keine lineare Erzählung gibt, also auch nicht darüber, warum die Ehe scheiterte.
Der eklektische Film „Petro’s Flu“ widersetzt sich der Kategorisierung. Er ist düster, bietet jedoch auch schwarzen Humor, geistreiche Dialoge und ist die Regiearbeit von Kirill Serebrennikov, der zudem das Drehbuch schrieb. Im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele in Cannes 2021 feierte PETROV’S FLU seine Weltpremiere. Beim diesjährigen FILMFEST MÜNCHEN war der Film erstmalig in Deutschland zu sehen.
Das Drehbuch basiert auf dem mehrfach ausgezeichneten Roman „Petrow hat Fieber“ des Schriftstellers Alexey Salnikov. Der ungewöhnliche Stil und die lebendige Sprache des Autors zogen bei Erscheinen des Romans Kritiker und Leser gleichermaßen in den Bann. Der Roman ist bei Suhrkamp erschienen.
Cineasten, die die Herausforderung lieben, sollten sich den Film unbedingt ansehen. Ab heute im Kino!
Fotos: Farbilm-Verleih