Pat Metheny: ROAD TO THE SUN

Der Jazz-Gitarrist und Komponist Pat Metheny hat eine spektakuläre und abwechslungsreiche Karriere hinter sich. Als Anerkennung für sein vier Jahrzehnte umspannendes Lebenswerk wurde ihm das NEA Jazz Masters Fellowship, die höchste offizielle Auszeichnung für amerikanische Jazzmusiker, verliehen. Für seine Aufnahmen, Auftritte und Kompositionen in Jazz, Samba, Progressive Rock und Free Styles erhielt er zwanzig Grammy Awards in zehn verschiedenen Kategorien. Methenys fließender, singender Stil hat zudem zahllose Gitarristen beeinflusst.

ROAD TO THE SUN heißt sein neues Studioalbum, das zwei vorzügliche klassische Kompositionen für Gitarre umfasst. Den Anfang macht eine vierteilige Suite für Sologitarre mit dem Titel „Four Paths of Light“. Deren ersten drei Parts sind stark arpeggierte, lebhaft gespielte Passagen, die an klassische Etüden erinnern, während Part 4 ein Stück im ¾ Takt mit starkem Flamenco-Flair ist. Gespielt wird die Suite von keinem Geringeren als dem exzellenten US-Gitarristen Jason Vieaux, dessen gut abgestimmter Spielstil akribische Genauigkeit und üppige Romantik vereint.   

Auch bei der Wahl der Interpreten für seine Komposition „Road to the Sun“, eine sechsteilige Suite für vier Gitarren, die auf „Four Paths of Light“ folgt, hatte Metheny eine glückliche Hand. Hierfür konnte er das Los Angeles Guitar Quartet (LAGQ) gewinnen, das wie Vieaux in vielen Genres unterwegs ist, von Bach über Bluegrass bis hin zu Rock.  

Wie bei „Four Paths of Light“ zeichnet sich auch diese Suite durch eine große Vielfalt an verschiedenen Stimmungen aus, die vom opulenten barocken Flair in Part 1, über nächtliche Träumereien in Part 3 bis hin zu schrillen experimentellen Spezialeffekten reichen, die Part 4 abschließen: Kratzigen Glissandi, die so klingen, also ob die Spieler mit ihren Fingernägeln über die Saiten fahren, folgen perkussive Schläge und hohes Geklimper, bei dem es sich vermutlich um geräuschvolles Zupfen der Saiten zwischen Sattel und Wirbeln handelt.

Part 2 und Part 5 klingen demgegenüber in den letzten Abschnitten fast wie eine Pat Metheny Group unplugged. Kein Wunder. Denn sie sind die Einzigen, bei denen der Jazz Master mit markantem Strumming selbst in die Saiten greift. Dies wirft die interessante Frage auf, wie viel Klang eines Musikers von seinen Kompositionen und wie viel von seinem speziellen Spielstil herrührt. Von diesem erhalten wir beim abschließenden Stück dann doch noch eine wohlklingende Kostprobe. „Für Alina“ ist eine exquisite Neuinterpretation der gleichnamigen Komposition für Soloklavier des estnischen Komponisten und Vertreter der Neuen Einfachheit Arvo Pärt. Metheny spielt sie auf seiner berühmten maßgefertigten 42-saitigen Pikasso-Gitarre, die so heißt, weil sie mit ihren drei seltsam angeordneten Hälsen und zwei Schalllöchern wie eine kubistische Interpretation einer Gitarre anmutet. Ihr Klang ist unglaublich und reicht über ein breites Spektrum von tiefen resonanten Basstönen bis hin zu hell klingenden Tönen, die an eine Zither erinnern. Auf wunderbare Weise gelingt es Metheny hier, die ätherische Melancholie des Originals einzufangen.  

Für Metheny-Liebhaber oder jene, die sich für klassische Gitarre interessieren, ist das exzellente Album ROAD TO THE SUN  ein absolutes Muss. Für alle, die noch nicht mit klassischer Gitarre vertraut sind, könnte es indessen ein ganz neues Universum wohlklingender Wunder mit starkem Suchtfaktor eröffnen.

VÖ: 5.3.2021 Bei Modern Recordings /BMG

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Hans Kaltwasser
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