Orchestre National De Jazz: DANCING IN YOUR HEAD(S)

Zu den zahllosen Bewunderern der Musik Ornette Colemans gehört auch Frédéric Maurin,  französischer Gitarrist, Komponist und seit Ende 2018 künstlerischer Leiter des Orchestre National de Jazz (ONJ), einer französischen Big Band, in der die bekanntesten Jazzmusiker des Landes zusammenarbeiten. DANCING IN YOUR HEAD(S ist eine Hommage an den legendären Jazz-Innovator, für die Maurin ein Team aus fünfzehn exzellenten Musikern zusammengestellt hat, die zum Teil schon in seiner früheren Big Band Ping Machine spielten. Bei drei Stücken ist zudem der US-amerikanische Altsaxophonist Tim Berne als Gast dabei. 

Das Album, ein Live-Mitschnitt eines Konzertes im Berliner „Kesselhaus“ aus dem Jahre 2019, umfasst neun Stücke. Sieben von diesen basieren auf Kompositionen von Coleman. Zwei Titel stammen aus der Feder von Eric Dolphy (Something Sweet, Something Tender) und Julius Hemhill (Dogon A.D.)

Was gleich vom ersten Stück an auffällt, einem Medley aus „Feet Music“ und „Open to the Public“, ist die gewaltige Klangmasse, die den Zuhörer aus den Lautsprecherboxen förmlich anspringt und zu erschlagen droht, ein imposantes Ensemble aus zehn Bläsern, das von Rafaël Koerners wuchtigem Schlagzeug und den vier elektrischen Instrumenten (Gitarren, E-Bass und Fender) noch verstärkt wird. Das Ganze spielt sich als eine Art fröhliche Anarchie ab, bei der sich mehrere Klangschichten übereinander türmen, wobei den Soli breiter Raum gewährt wird: der exaltierten Bratsche von Tim Berne („Lonely Woman“,  „Theme from a Symphony“), dem Tenorsaxophon  von Fabien Debellefontaine, der Bratsche von Jean-Michel Couchet, der Posaune von Daniel Zimmerman, der Trompete von Susana Santos Silva oder aber der Gitarre von Pierre Durand.

Lackmustest einer jeden Neuinterpretation von Colemans Kompositionen ist natürlich die Frage, wie die Musiker mit „Lonely Woman“, einem der melodischsten Jazzsongs des Musikers umgehen, bei dem kein Harmonie- und Taktgerüst vorgegeben ist. Die zehnminütige ONJ-Version beginnt mit einigen elektronischen Klängen, die scheinbar ziellos über leichtem, fast zartem Schlagzeugspiel irrlichtern. Erst allmählich entwickeln die Bläser das Thema, wobei das Ensemble eine herrliche Kakophonie erzeugt, bevor Tim Bernes Altsaxophon die Zügel in die Hand nimmt und das Jazzorchesterschließlich im vollen Big Band Modus aufspielt.     

Überzeugend geraten ist auch die ONJ-Version des Coleman Songs „Theme from a Symphony“, das repräsentativ für die funkige Schaffensperiode des Jazz-Innovators mit seiner Band Prime Time steht. Eine einfache, achttonige Melodie, die den Solisten und Arrangeuren sehr viel Interpretationsraum lässt.  Aber auch Julius Hemphills „Dogon A.D.“  und Eric Dolphys „Something Sweet, Something Tender“, eine schöne Ballade mit feinem Posaunensolo von Daniel Zimmermann, sind echte Highlights.  

DANCING YOUR HEAD(S) gehört ohne Zweifel zu den besten Big-Band-Alben dieses Jahres. 

Standardbild
Hans Kaltwasser
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