One to One: John & Yoko

ONE TO ONE: John & Yoko heißt der neue Film des Oscar-Preisträgers Kevin MacDonald. Seinen Titel verdankt er dem einzigen abendfüllenden Konzert, das John Lennon nach seinem Ausstieg bei den Beatles gab: einem Benefizkonzert am 30. August 1972 im New Yorker Madison Square Garden, mit dem der Musiker 1,5 Millionen US-Dollar zugunsten einer psychiatrische Kinderklinik einsammelte. Die neu gemasterten Aufnahmen der von Lennon gespielten Songs wie „Instant Karma“ und „Come Together“ sind eindrucksvoll und himmelweit von jenem matschigen Mix entfernt, den seinerzeit Phil Spector herausbrachte.   

Ein Konzertfilm ist ONE TO ONE dennoch nicht, sondern ein Porträt jener 18 Monate 1971/1972, die das Künstlerpaar Lennon/Ono in einer kleinen Wohnung im New Yorker Künstler- und Szeneviertel Greenwich Village verbrachte, wo es Kontakte zu prominenten linken Intellektuellen, Autoren und Aktivisten wie Jerry Rubin, Allen Ginsberg und Abbie Hoffman pflegte.

Damals war die Welt noch dabei, die kulturellen Veränderungen zu verarbeiteten, die Lennon mit vorangetrieben hatte. Würden die Hippie-Umwälzungen und ihr „Give Peace A Chance“-Mantra Bestand haben? Die Befürworter von Richard Nixon, der sich damals um die Wiederwahl bemühte, hofften das nicht.

J&Y at piano Hi res – Credit Brian Hamill

Bob Dylan hatte, wie viele andere seiner Zeitgenossen, die Politik längst zugunsten der Musik aufgegeben. Doch Lennon ist trotz der wachsenden politischen Apathie im Amerika Anfang der 1970er Jahre in revolutionärer Stimmung. „Flower Power hat nicht funktioniert“, sagt er an einer Stelle des Films und fügt trotzig hinzu „Na und? Dann fangen wir eben von neuem an.“   

Anhand von TV-Interviews, aufgezeichneten Telefongesprächen mit Agenten und Managern sowie persönlichem Filmmaterial – vieles davon ist neu – zeigt ONE TO ONE die Entschlossenheit des Paares, für jedwede lohnenswerte Sache zu kämpfen, die ihnen unter die Augen kommt, vom Vietnamkrieg bis hin zu einer Spendenaktion für Untersuchungshäftlinge, die sich keine Kaution leisten können.

(C) Brian Hamill

Zwei Dinge heben diesen Film erfreulicherweise über eine bloß infotainmentmäßige Dokumentation des Lebens des Künstlerpaars in jener Phase sowie der musikalischen Darbietung des Konzertes hinaus: Obwohl der Film streng chronologisch aufgebaut ist und die anderthalb Jahre bis zum Konzert umfasst, werden die persönlichen Kämpfe von John und Yoko – die vielen Morddrohungen, die die beiden bekamen, der unsägliche Sorgerechtsstreit um Yokos Tochter und eine ihnen feindlich gesonnene US-Justizbehörde – in einen größeren kulturellen und historischen Kontext gestellt und zeigen die USA in all ihren absurden Wahnvorstellungen in der Zeit vor Watergate.

Ein Aufstand im Staatsgefängnis Attica wird im Fernsehen übertragen. Die US-Familienserie „Die Waltons“ verkauft der Nation eine idealisierte Version der Zeit der Großen Depression. Der unermüdliche Sozialaktivist Jerry Rubin wird vom Talkmaster Phil Donohue interviewt.

Dabei bedienen sich Macdonald und sein Cutter Rice Edwards einer Schnitttechnik, die die Balance zwischen Stil und Substanz hält und völlig disparate Elemente wie Nachrichten, politische Skandale und TV-Werbespots so geschickt verquirlt, dass die einzelnen Teile fließend ineinander übergehen. 

Zweitens verdeutlicht der gesellschaftspolitische Aktivismus von Lennon und Ono die Tatsache, dass sich in den letzten 50 Jahren in Amerika wenig geändert hat. Im Weißen Haus sitzt ein machtgeiler, korrupter Präsident, Stellvertreterkriege toben, Proteste werden unterdrückt, politische Agitatoren inhaftiert, Möchtegernrevoluzzer festgenommen, unschädlich gemacht oder gar ermordet.

Manchmal scheint Macdonald die Blende seiner Kamera freilich ein wenig zu weit zu öffnen und entschärft den analytischen Blick auf den unruhigen Zeitgeist. Ein Beispiel hierfür ist die überflüssige Szene mit A. J. Weberman, dem kauzigen Präsidenten des Bob-Dylan-Fanclubs, der die Mülleimer seines Helden nach Beweisen für dessen vermeintlich bürgerliche Heuchelei durchwühlt.

Dessen ungeachtet ist ONE TO ONE: John & Yoko ein sehr sehenswertes Dokument einer fiebrigen Zeit voller Hoffnungen. Und ein dringender Weckruf, der uns an eine der größten Gefahren der modernen Welt erinnert: Die Betäubung gegenüber dem vielen menschlichen Leid, das tagtäglich um uns herum geschieht.  

Hans Kaltwasser
Hans Kaltwasser
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