Nachtgesänge: Zehn tolle Songs über die Magie der Nacht

Was macht die Nacht so reizvoll? Welche Auswirkungen hat das Dunkle auf uns Menschen? Die zyklische Wiederkehr von Tag und Nacht gehört zu den natürlichen Dingen, denen eine besondere biologische und häufig große kulturelle Bedeutung zugeschrieben wird. Lebewesen, die am Tag aggressiv, wachsam und suchend sind, werden in der Nacht ruhig und inaktiv.

Den dramatischen Kontrast zwischen Tag und Nacht setzen viele Kulturen mit der Diskrepanz zwischen Leben und Tod, Licht und Dunkelheit, Bewusstsein und Unbewusstheit gleich. Tag und Nacht symbolisieren jeweils die Geburt der Sonne und ihren Tod. Als Tod des Lichts, des Lebens und des Bewusstseins ist die Nacht gleichzeitig aber auch der Wendepunkt zum Neubeginn des Lebens, ein Raum voller keimender Möglichkeiten. An diesem Tiefpunkt der Leere angelangt kann sich das Bewusstsein erholen, regenerieren, neu formieren und mit neuen Inhalten anreichern.

Möglicherweise ist es dieser Doppelcharakter von Leben und Tod, Stillstand und Neuanfang, der die Nacht in der Literatur zu einem herrschenden Motiv gemacht hat. Aber auch in der Pop- und Rockmusik wie auch im Jazz ist die Nacht ein beliebtes Thema. Wir haben zehn tolle Songs herausgesucht, in denen es um die Nacht geht. Ohne philosophischen Tiefsinn, aber musikalisch vom Feinsten.

One Night with You, Elvis Presley (1957)

Der Song „One Night with You“ wurde von Dave Bartholomew und Dave King geschrieben. Der US-amerikanische Blues-Sänger Smiley Lewis hatte ihn bereits 1956 aufgenommen. Seine Version kam allerdings nicht über Platz 11 in den R&B-Charts hinaus und schaffte es nicht in die Pop-Charts. 1957 nahm Elvis Presley das Stück auf. Ein Jahr später wurde er in die Armee eingezogen. Während dieser Zeit war der Musiker in Deutschland stationiert, sodass seine Plattenfirma den bereits aufgenommenen Titel 1958 in den USA und ein Jahr später in Großbritannien herausbrachte.

Im Januar 2005 wurde der Song anlässlich des 70. Geburtstags von Elvis in Großbritannien wiederveröffentlicht. Er erreichte Platz 1 und löste damit Elvis‘ Song „Jailhouse Rock“ ab, der ebenfalls neu aufgelegt worden war. Es war das dritte Mal in der Geschichte der britischen Charts, dass ein Künstler sich selbst an der Spitze der Charts ablöste. Die Jordanaires, Elvis‘ Begleitgruppe, erscheinen auf keiner Version dieses Songs, sind aber auf der Rückseite der Platte mit „I Got Stung“ zu hören. 

„One Night with You“ wurde mehrfach gecovert, so unter anderem 1975 von der britischen Glam-Rockband Mud und 1989 von Joe Cocker.

Let’s Spend the Night Together, Rolling Stones (1967)

Es ist ziemlich offensichtlich, worum es in diesem Lied aus dem Jahre 1967 geht. Stones-Boss Mick Jagger versucht, eine schöne Frau ins Bett zu kriegen. Die Zensoren waren nicht amüsiert und nahmen an den unverblümten sexuellen Anspielungen („I’ll satisfy your every need….“) Anstoß. Deshalb weigerten sich viele Radiosender, den Song zu spielen. Für ihren fünften Auftritt in der Ed Sullivan Show am 15. Januar 1967 mussten die Stones gar den Text ändern und sangen „Let’s spend some time together“).  Für die Band, die sich gerne rebellisch gab, eine ungewöhnliche Kapitulation, aber Sullivan war eine sehr große Hausnummer und hätte sie wahrscheinlich aus der Sendung verbannt, wenn die Stones nicht klein beigegeben hätten. So konnte Jagger seinen Unmut nur deutlich machen, indem er mit den Augen rollte, als er die Zeile sang. Übrigens war dies der letzte Auftritt der Band in der Show mit ihrem Gründungsmitglied Brian Jones, der am 3. Juli 1969 starb und hier im Video am Klavier sitzt.  

Marianne Faithfull, Jaggers Ex-Freundin, behauptet, Jagger habe diesen Song nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht geschrieben.

David Bowie coverte „Let’s Spend the Night Together“ 1973 auf seinem Album „Aladdin Sane“, dessen Sound stark vom rohen Rockstil der Rolling Stones beeinflusst war. In seiner Version fügte Bowie die vier Zeilen hinzu: „They said we were too young/Our kind of love was no fun/But our love comes from above/Let’s make love.“

Because the Night, Patti Smith (1983)

Viele, die mit Patti Smiths Karriere oder der Geschichte des Punk nicht vertraut sind, halten „Because the Night“ für ihren typischsten Song. Bruce Springsteen hatte 1976 einen ersten Entwurf des Stücks für sein Album „Darkness On the Edge of  Town“ geschrieben. Er verwarf diese Idee jedoch, weil er meinte, dass der Song nicht zu dem narrativen Konzept des Albums passte, das ihm vorschwebte: Wie Menschen reagieren, wenn sie frei von Angst sind. Springsteens Produzent Jimmy Iovine überredete ihn schließlich, eine Kopie an Patti Smith zu schicken, mit der er zu jener Zeit ebenfalls arbeitete und für die er unbedingt einen Hit wollte. Springsteen war einverstanden.

Der Rest ist Geschichte. Mit seinen beiden Strophen, die jeweils von Springsteen und Smith geschrieben wurden, fängt „Because the Night“ perfekt den hungrigen Rock-’n’Roll-Spirit der beiden Musiker ein und wird Smiths einziger Top-20-Hit.

The Night They drove Old Dixie Down, The Band (1969)

Robbie Robertson schrieb dieses Lied, in dem es um den US-amerikanischen Bürgerkrieg geht. Der Begriff „Dixie“ bezeichnet den alten amerikanischen Süden, der von der Unionsarmee besiegt wurde. Robertson hatte die Musik zu dem Song bereits in seinem Kopf. Auf die Idee für den Text kam er, als er bei einem Besuch in den Südstaaten den Spruch „The South will rise again“ gehört hatte. Das brachte ihn dazu, über den Bürgerkrieg zu recherchieren. Die Hauptfigur des Liedes, Virgil Caine, ist fiktiv, aber es gab wirklich einen „Danville-Zug“, ebenso die „Stonemans Kavallerie“, über die gesungen wird. Der Zug wäre Teil der Richmond and Danville Railroad gewesen, einer wichtigen Verbindung für die konföderierte Armee. George Stoneman war ein Kavallerieoffizier der Union, der Überfälle auf die Eisenbahn leitete.

Die Harmonien im Refrain werden von Levon Helm, Richard Manuel und Rick Danko gesungen, während Helm die Strophen sang. Er war das einzige Bandmitglied, das aus dem Süden (Arkansas) stammte. Deshalb passte es gut, dass er im Song die Rolle des Virgil Caine, eines Bahnarbeiters aus Virginia, spielte.  

Joan Baez coverte den Song im Jahre 1971. Es war ihr größter Hit und erreichte in den USA Platz 3 und im Vereinigten Königreich Platz 6. Der Refrain wird hier von einem 20-köpfigen Chor gesungen. Für Robbie Robertson klang dies alles ein bisschen zu fröhlich, wenngleich er dafür dankbar war, dass mit dieser Version The Band einem größeren Publikum bekannt wurde.  

Night Time Is the Right Time, Ray Charles (1958)

Dieser Bluesstandard darf in keiner Zusammenstellung von Liedern zum Thema Nacht fehlen. Geschrieben wurde er 1937 von Roosevelt Sykes, gecovert unzählige Male u.a. von The Honey Dripper, Sonny Boy Williams, Freddy Roach, Aretha Franklin, Big Bill Broozy und Nappy Brown. Auch bei den Anfang der 1960-er Jahre populär werdenden britischen R&B-Bands wie den Yardbirds oder Animals gehörte das Stück zum Standardrepertoire. Selbst die späten Rolling Stones konnten ihre Finger nicht von dem hypnotischen Stück lassen und nahmen es 2007 auf. Besonders erwähnenswert ist die Textzeile „Because night time, is the right time, to be with the one you love“, mit der jede Strophe schließt. Manchen Musikern hat es diese Zeile offenbar besonders so angetan, dass sie sie in ihrem eigenen Material zitiert haben. Beispiele sind John Lee Hooker („I’m in the Mood“) und Bob Dylan („To be Alone With You“). 

Die wohl bekannteste Version stammt von Ray Charles. Sie strotzt vor schier überbordender Emotionalität, an der seine Background-Sängerin Margie Hendrix durch ihren in der Mitte des Songs laut gesungenen ekstatischen Teil besonderen Anteil hat.

Here Comes the Night, Them (1965)

Bert Berns (alias Bert Russell) hat diesen Song 1965 als Single geschrieben. Es war der größte Hit für die Band Them, die aus dem nordirischen Belfast stammte, aber dennoch als Teil der „British Invasion“ angesehen wurde. Leadsänger von Them war Van Morrison, der die Band 1966 verließ und eine erfolgreiche Solokarriere begann.

Bert Berns war ein talentierter Songwriter und Produzent, der 1967 im Alter von nur 38 Jahren starb. Zu seinen bekanntesten Songs gehörten u. a. „Twist And Shout“ (Isley Brothers, Beatles), „Hang On Sloopy“ (The McCoys), „Piece Of My Heart“ (Janis Joplin) und „Tell Him“ (The Exciters). Er produzierte unter anderem Morrisons „Brown Eyed Girl“ und „Under The Boardwalk“ von den Drifters.

Trotz seines motzig-saloppen Tons erzählt der Song „Here Comes the Night“ von zwanghafter Eifersucht und drohender Einsamkeit aus der Sicht eines gehörnten Liebhabers, der seine verflossene Geliebte voyeuristisch mit ihrem Neuen beobachtet.

Eigentlich hatte die Band den Song als Nachfolger ihres Hits „Baby Please Don’t Go“ geplant. Doch  Decca veröffentlichte ihn im November 1964 in aller Eile in einer Version der britischen Pop-Sängerin Lulu. Die Gruppe war von dieser Entscheidung ihres Labels bitter enttäuscht, empfand dann aber eine gewisse Genugtuung, als die Aufnahme von Lulu floppte. Ihre eigene, im März 1965 veröffentliche Version kletterte bis auf Platz 2 der britischen Charts.

All Night Long, Lionel Ritchie (1983)

In den 1970-er und 1980-er Jahren gehörte Lionel Richie zu den erfolgreichsten Songschreibern und Interpreten. Mit seiner Band „The Commodores“, die er 1982 verließ, und später als Solokünstler hatte er eine ganze Reihe Hits, darunter mit Diana Ross „Endless Love“.

 In „All Night Long“ lädt er uns zu einer spektakulären Party ein. Es wird Musik, Tanz und Spaß geben, und das die ganze Nacht lang. Richie hat den Song, der in den US-Charts auf Platz 1 kletterte, selbst geschrieben und ihn als Leadsingle aus seinem zweiten Soloalbum Can’t Slow Down veröffentlicht.

Inspiriert zu diesem Song wurde Richie durch die Reggae/Calypso-Rhythmen, die er auf seinen Karibik-Urlauben gehört hatte und zu denen dort jeder tanzte. Um ein weltläufiges Gefühl zu vermitteln, fügte er karibische, suahelische und spanische Wörter ein. Wo er nicht die richtigen internationalen Wörter fand, schuf er einfach seine eigenen: „Tambo liteh sette mo-jah! Yo! Jambo jambo!“, heißt es in der beschwingten musikalischen Einladung zum Tanzen, der man sich nur unschwer entziehen kann.

Seltsamerweise sangen die Iraker dieses Lied 2003 in den Straßen von Bagdad just in der Nacht, als die US-Panzer einrollten. Eine Antwort auf die Frage warum, hat Richie, der selbst entschieden gegen den Krieg war, nicht.

Whatever Gets You thru the Night, John Lennon (1974)

Die Idee zu diesem Lied verdankte John Lennon, einem Spruch des schwarzen Evangelisten Reverend Ike, der seine Zuschauer in seiner Show im Nachtfernsehen immer mit den Worten verabschiedete „Leute, lasst mich euch sagen, es ist egal, womit ihr die Nacht überbrückt“. Lennon war begeistert und notierte den Satz sogleich in einem kleinen Notizbuch, das immer griffbereit neben seinem Bett lag.

„Whatever Gets You thru the Night“ war Lennons einzige Solo-Single, die zu seinen Lebzeiten in den USA auf Platz 1 landete,. Er war das letzte Mitglied der Beatles, dem dieser Erfolg gelang. Bei der Aufnahme saß Elton John am Klavier und sang die zweite Stimme. Während der Aufnahmen wettete Elton John mit Lennon, dass der Song Platz 1 der Charts erreichen würde. Lennon war skeptisch. Dennoch ließ er sich von Elton John das Versprechen abringen, bei einem der Auftritte des Pianisten mit auf der Bühne zu stehen, falls die Platte Platz 1 erreichen würde. Als die Platte dann tatsächlich auf Platz 1 landete, erschien Lennon bei Johns Thanksgiving-Konzert im Madison Square Garden am 28. November 1974. Es sollte Lennons letzter großer Konzertauftritt sein.

Night and Day, Tony Bennett , Lady Gaga (2021)

Opulent und elegant, luxuriös und reizend die Melodien. Ausgefeilt, bisweilen anzüglich die Texte, clever die Reime. Cole Porter gehört zu den wichtigsten Autoren des Great American Songbook. Den schönen Song „Night and Day“ schrieb er 1932 für das Broadway-Musical „Gay Divorce“, in dem Fred Astaire und Ginger Rogers mitwirkten. Porter behauptete, ein islamischer Aufruf zum Gebet, den er bei einer Reise nach Marokko gehört hatte, habe ihn zu dem Lied inspiriert. Der Song wurde in der Jazzszene in einer Vielzahl von Stilen von Latin bis Swing aufgenommen und aufgeführt. Berühmte Interpreten sind unter anderem Frank Sinatra, Bing Crosby, Ella Fitzgerald, Joe Henderson und Charlie Parker. Die jüngste Version stammt von Tony Bennett und Lady Gaga, die den Song für ihr gemeinsames Album „Love for Sale“ gekonnt gecovert haben.    

Nights in White Satin, Moody Blues (1967)

Der britische Musiker Justin Hayward hat dieses langsame, schwermütige Stück in e-Moll 1967 für die Moody Blues geschrieben. Erst kurz zuvor war er zu der britischen Band gestoßen und hatte den Platz ihres ehemaligen Lead Sängers Danny Laine eingenommen. Eigentlich hatte die Band, die vor allem in den USA sehr erfolgreich war, als Bluesgruppe angefangen. Mit „Nights in White Satin“ ließ sie ihren ursprünglichen, eingängigen, moderaten R&B-Sound hinter sich und begaben sich in unbekannte Gefilde. Nur der Name erinnerte noch an die musikalischen Ursprünge der Band. Das siebenminütige Epos mit seinen erotischen Konnotationen im Titel, das laut Hayward von seiner großen Bewunderung für alle Frauen der Welt inspiriert war, sollte das Markenzeichen der Band werden. Es enthielt bereits alle für die damalige Zeit typischen Elemente der musikalischen DNA der Moody Blues: Haywards sanfte Stimme, das von Mike Pinder gespielte Mellotron und ein zartes Querflöten-Solo im Mittelteil, das von Ray Thomas, später live von Norda Muller gespielt wurde.

In Europa landete „Nights in White Satin“ nach seiner Veröffentlichung hoch in den Charts. Fast drei Jahre brauchte der Song, um jenseits des Atlantik zu einem Riesenhit zu werden.

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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