Fünf Livealben, die im Gefängnis aufgenommen wurden.
Musikalben entstehen nicht immer im Studio. Sie werden in Konzertsälen, Fußballstadien oder riesigen Arenen mitgeschnitten. Manche an ungewöhnlichen Orten wie alte Kirchen und Kathedralen, oder auch die antiken Ruinen von Pompeji. Etliche wurden sogar in Gefängnissen aufgenommen. Musik und Gefängnis sind sich dabei gar nicht einmal so fremd, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Johnny Cash belebte seine ins Stocken geratene Karriere 1968 mit seinem Album „At Folsom Prison“ wieder, das live in dem titelgebenden kalifornischen Gefängnis aufgenommen wurde. Ein Jahr später folgte ein Album, das im Gefängnis von San Quentin mitgeschnitten wurde. Beide Alben entstanden im Anschluss an mehrere Konzerte, die der Musiker in Gefängnissen gegeben hatte. Sein Song „Folsom Prison Blues“ aus dem Jahr 1955 war bei den Gefängnisinsassen außerordentlich populär. Beide explosive Aufnahmen festigten Cashs Image als musikalischer Outlaw. Dabei hatte der „Man in Black“ allen hartnäckigen Legenden zum Trotz selbst nie im Gefängnis gesessen.
Die Liste der Musiker, die Konzerte in San Quentin und anderen Strafanstalten gaben, ist lang und voller berühmter Namen. Sie umfasst Rockmusiker wie Metallica, Carlos Santana und Bob Dylan. Aber auch zahlreiche Jazzmusiker wie Art Pepper, Frank Morgan und Dexter Gordon. Selbst den „King of Swing“, Frank Sinatra, zog es häufig hinter die schwedischen Gardinen und das manchmal im großen Stil, wie bei seinem Auftritt 1965 im Lorton Correctional Complex, bei dem er dasgesamteCount Basie Orchestra im Gepäck mitbrachte.
Wie haben uns heute fünf Live-Alben ausgesucht, die im Gefängnis aufgenommen wurden und die den Test der Zeit bravourös überstanden haben.
B. B. King: Live in Cook County Jail (1971)
Dies ist das zweite grandiose Live-Album, das B. B. King sechs Jahre nach seinem „Live at the Regal“ in Chicago aufnahm und das kommerziell ein Riesenerfolg für den Bluesmusiker war. „Live in Cook County Jail“ ist wahrscheinlich eines der größten Konzertaufnahmen aller Zeiten. Wie könnte es auch anders sein, wenn der „King of the Blues“ eine handverlesene Auswahl seiner Stücke vor einem buchstäblich gefesselten Publikum in einem Gefängnis in Illinois spielt? Als einziges Album von B. B. King erreichte es den Platz 1 der Billboard R&B-Charts und landete immerhin auf Platz 25 der Pop-Charts. Kings stellares Bühnenhandwerk kommt vom Herzen, ist hitzig, gelegentlich auf drollige Weise humorvoll; seine Gitarrenarbeit exzellent. Fünf der zehn Songs des Albums waren Standards, die er auch auf dem „Regal“-Album aufgenommen hatte und bei Konzerten häufig spielte. Die wichtigste Ergänzung der Setlist ist eine überirdische Interpretation von „The Thrill Is Gone“, einem Crossover-Hit, den er in der Zwischenzeit hatte und der auch heute noch hörenswert ist. King lässt hier sein Instrument mit markantem Tremolo buchstäblich singen – eine Technik, die er „Butterfly“ nannte und bei der er die Finger seiner Griffhand wie die Flügel eines Schmetterlings flattern ließ.
Beim Stück „How Blue Can You Get“ erhält zunächst die Band die Möglichkeit, ihr virtuoses Können zu demonstrieren, bevor King seinen Text einbringt. Es ist leicht zu verstehen, warum King gerade mit diesem Song offenbar den Nerv seines Publikums traf. Durch seine Positionierung als müder, enttäuschter Lover, der sein Bestes gibt, aber niemandem gefällt, als ungeliebter Looser reiht er sich Schulter an Schulter mit den Insassen und stellt eine emotionale Verbindung mit ihnen her.
Johnny Cash: Live At St. Quentin (1969)
Bereits vor seinem legendären Auftritt in Amerikas brutalstem Knast hatte Johnny Cash fünfzehn „Prison Shows“ gegeben. Auf diesem Album taucht der „Mann in Schwarz“ selbst erst im sechsten Track mit dem Song „Big River“ auf, der die Geschichte eines Mannes erzählt, der einer verlorenen Liebe hinterherjagt, die ihm immer wieder entkommt. Die Autorität des Country-Übermusikers ist sofort spürbar. Mit dem hektischen Rockabilly-Beat „Wreck Of the Old 97“ beginnt die Backing-Group um W. S. Holland (Schlagzeug), Marshall Grant (Bass) und Bob Wooton (Gitarre) richtig zu kochen. Weitere Highlights sind Cashs Auftritt mit dem ähnlich optimistisch gestimmten „Orange Blossom Special“, bei dem er mit seiner Mundharmonika-Schaltperformance brilliert, und das als Single ausgekoppelte „A Boy Named Sue“. Natürlich fehlt in der exquisite Sammlung auch sein größter Erfolg „Ring of Fire“ und der titelgebende Hate Song „St. Quentin“ nicht.
John Lee Hooker: Live At Soledad Prison (1972)
Klassiker wie „Boogie Chillen‘“, „Boom, Boom“ und „I’m In The Mood“ haben John Lee Hooker, der über 100 Alben einspielte, berühmt gemacht. Unter den Blues-Giganten der Nachkriegszeit ist er einer der größten und begeistert immer wieder durch seinen ungekünstelten Sound und wilden Stil. Trotz seiner Konstanz blieb er unberechenbar, widersetzte sich dem Genre-Dogma seiner Zeit und spielte den Blues auf seine einzigartige, unverwechselbare Weise. Hookers hypnotische Riffs und seine tiefe, ausdrucksstarke Stimme, mit der er den Blues sang, bellte und knurrte, brachte ihm die Bewunderung vor allem der jungen britischen Bluesszene der 1960er-Jahre ein, zu einem Zeitpunkt, als die Popularität des Blues unter Schwarzen in seiner Heimat längst im Schwinden begriffen war. Das Beste an diesem famosen Livekonzertalbum, auf dem der Musiker von seinem Sohn begleitet wird, ist, wie Hooker zwischen den beschwingteren Nummern, die die Insassen hören wollen („Boogie Everywhere I Go“), und dem ans Herz gehenden Blues, den sie jeden Tag in ihrem tristen Leben erleben, hin- und herspringt und so die Spannung bis zum Höhepunkt vorantreibt.
Das Album (und Konzert) schließt mit dem vor sexueller Vorlust überbordenden „Bang, Bang, Bang“, eine überarbeitete Version von Hookers Standard „Boom Boom“ aus dem Jahr 1961. Der jazzige, swingende Song mit markantem Riff endet nach genau vier Minuten und 17 Sekunden, weil der Strom ausfiel. Möglicherweise hatten besorgte Justizbeamte den Stecker gezogen aus Furcht, die Stimmung im Saal könnte überkochen.
Big Mama Thornton: Jail (1975)
Musikerinnen, die vor männlichen Strafgefangenen auftreten, sind wahrscheinlich so selten wie rothaarige Asiaten oder Schwarze. Vielleicht weil sie mehr als ihre männlichen Kollegen fürchten müssen, dass ihr Auftritt durch Buh-Rufe oder sexualisierte Verbalattacken gestört oder unterbrochen wird. Derlei Befürchtungen waren der „Mutter des Rock ‚n‘ Roll“ Big Mama Thornton fremd, die schon wegen ihrer mächtigen Statur eine enorme Bühnenpräsenz besaß und auch sonst nicht auf den Mund gefallen war. Ihr großartiges Album „JAIL“ aus dem Jahre 1975 wurde aus zwei Live-Auftritten in verschiedenen Gefängnissen zusammengestellt. Zu den sieben Titeln, die es enthält, zählt auch ihre Komposition „Ball ‚n‘ Chain“, die allerdings durch Janis Joplin berühmt gemacht wurde. Der Titel des Songs – Kugel und Kette – ist dabei symbolisch zu verstehen und bezieht sich auf die körperliche und emotionale Abhängigkeit einer Frau von ihrem Lebenspartner oder ihrer Lebenspartnerin.
Mack Vickery: Live At The Albama Women’s Prison (1970)
Wichtiger als der Rockability-Sänger, der zunächst nur überschaubaren Erfolg mit seinen Platten hatte, waren die Hits, die er für Faron Young, Tanya Tucker, Wayton Jennings und andere schrieb. „Live At The Albama Women’s Prison“ ist die erste LP aus dem Jahr 1970 und ein echter Klassiker. Mack Vickery singt sich hier buchstäblich die Seele aus dem Leib vor Hunderten kreischenden und johlenden Gefängnisinsassinnen, die nach Musik, Liebe und Zuneigung hungerten.
Das Cover-Design ist noch heute eine Provokation und greift in die dunkelste Ecke männlicher sexueller Fantasien: Frauen hinter Gittern. Was gibt es Schöneres? Cashs „Live At St. Quentin“ hatte den Sänger wahrscheinlich auf das Konzept für dieses Album gebracht, so dass er seine Roadshow einpackte und ins Frauengefängnis nach Alabama brachte. Mack Vickery hört sich gut an, wenn er frivole Lieder wie „A Woman Who Walks On The Wild Side“ und „Meat Man“ zum Besten gibt, das er ursprünglich für Jerry Lee Lewis geschrieben hatte. Zwar steht er Elvis Presley näher als Johnny Cash, aber Vickery hatte eine großartige Stimme und das zählt letztendlich. Sein Debütalbum stieß übrigens auf viel Widerstand, und seine Plattenfirma ging bald nach Veröffentlichung der LP bankrott.