Milena Michiko Flašar – Oben Erde, unten Himmel

Suzu lebt in einer japanischen Großstadt und ihr Bekanntenkreis ist recht überschaubar, von Freund:innen ganz zu schweigen. Doch das kümmert sie nicht. Ab und zu datet sie über ein Dating-Netzwerk und landet manchmal mit der neuesten Bekanntschaft in einem Liebeshotel. Dort findet sie das Anziehen der Kleidung nachher peinlicher als das vorherige Ausziehen.

Auch Suzus Kolleg:innen haben mittlerweile begriffen, dass Small Talk und Treffen nach Feierabend nicht ihr Ding sind. Nur ihr Chef findet es zunehmend schwierig, sie und ihr autistisches Verhalten als Bedienung den Gästen des Familienrestaurants weiterhin zuzumuten. Deswegen steht sie plötzlich ohne Job auf der Straße. Wie lange kann sie es finanziell durchhalten, ohne dass sie selbst und ihr Hamster verhungern? Ihre Eltern würden sie zu Hause wieder aufnehmen. Schlimmer als Suzu sie durch ihren Studienabbruch enttäuscht hatte, kann es nicht kommen. Doch schneller als gedacht findet sie einen neuen Job und der wird ein weiterer Schlag für ihre Eltern bedeuten.

Menschen, die einsam gelebt haben, sterben auch einsam, sagt ihr neuer Chef Sakai, der ein Meister darin ist, die Wohnung der unbemerkt Verstorbenen wieder herzustellen.

Für diese Kodokushi-Fälle brauchen die Beschäftigen viel Geduld, Ehrfurcht und Sorgfalt und einen robusten Magen. Suzuka tröstet sich zu nach dem ersten Arbeitstag damit, dass sie während ihres Probemonats einen anderen Job finden könnte. Doch dann kommt alles anders.

Sakai hat ein Gespür für einsame Menschen entwickelt und er versteht es, Suzu immer wieder einen kleinen Schubs zu geben, um Kontakte zu knüpfen. Denn als ihr Kollege Takada krank wird, der ungefähr in ihrem Alter ist, schickt ihr Chef sie, um ihrem Kollegen einen Krankenbesuch abzustatten.
Langsam bröckelt Suzus Fassade und sie merkt, dass sie allein mit ihrem Goldhamster nicht nur einsam ist, sondern sich selbst nicht richtig entfalten kann. Und mittlerweile weiß sie, dass hinter ihrem Desinteresse an menschlichen Kontakten etwas anderes steckt.

Außergewöhnliche und sehr liebenswerte Protagonisten bevölkern den Gegenwartsroman „Oben Erde, unten Himmel“ der Autorin Milena Michiko Flašar. Und trotz des traurigen Themas Einsamkeit kommt er im heiteren und zuversichtlich Erzählton daher. Es gibt viele Formen von Einsamkeit und viele Möglichkeiten, sie hinter sich zu lassen. Eine wunderbare und unvergessliche Lektüre.

Milena Michiko Flašar
Oben Erde, unten Himmel

Quartbuch. 2.2.2023
304 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-8031-3353-3

Verlag: Wagenbach

Milena Michiko Flašar

Milena Michiko Flašar, geboren 1980 in St. Pölten, hat in Wien und Berlin Germanistik und Romanistik studiert. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Ihre Romane »Ich nannte ihn Krawatte« und »Herr Kato spielt Familie« wurden mehrfach ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien.

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Ingrid
Kunst und Kultur, Musik und Bücher, ohne sie ist ein Leben denkbar, aber für mich sinnlos. Darum habe ich diesen Blog ins Leben gerufen. Es macht viel Spaß, ihn zu gestalten - ich hoffe, den Usern, ihn zu lesen. Nicht alles, was gedruckt wird, muss gelesen, nicht jedes Album gehört werden. Was die User hier finden, gefällt mir und den Gastautoren, die ab und zu Lust haben, etwas zu schreiben.
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