Künstlerische Inspiration hat ihren eigenen Zeitplan und wirkt gelegentlich an unerwarteten Orten. Die britische Indie-Sängerin Marika Hackman wurde 2021 von den Musen ausgerechnet auf einer Kneipentoilette geküsst. Dort hörte sie sich die blechern klingende Smartphone-Aufnahme eines Songs an, den sie wenige Stunden zuvor geschrieben hatte. In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie endlich ihre jahrelange Schreibblockade überwunden hatte. Aus dem unfertigen Entwurf entstand der Song „Hanging“, eines der Highlights ihres neues Albums BIG SIGH. Das Stück ist eine herrlich verdrehte Autopsie einer gescheiterten toxischen Beziehung und wird von einem gallig-humorigen Text gekrönt. „Ich erzähle dir, wie du mich in meinen Träumen umbringst“, gurrt sie gleichzeitig verspielt und todernst.
Hackmans drei vorangegangene LPs zeigten eine Songwriterin, die sich in Shoegaze-Balladen und knackigem Alternative-Pop gleichermaßen wohlfühlte. Auf BIGH SIGH klingt sie jedoch düsterer, schwerer. Zwischen schönen, sparsamen Songs, in denen ihre gefühlvollen Texte im Mittelpunkt stehen, schwillt das Album im nächsten Moment bedrohlich an. Die orchestralen Arrangements verleihen manchen Stücken dabei die Dramatik cineastischer Musik. Das beste Beispiel hierfür ist der Song „The Ground“, eine anschwellende Ouvertüre, die den Ton angibt für das, was kommen wird. Während klassische Klaviere und Streicher auf atmosphärisch dichte Details treffen, öffnet Hackman mit verzerrter Stimme den Vorhang zu einer Welt der Angst, des Überdenkens und der schonungslosen Introspektion. Die Zeile „Ich war eine Zeitlang glücklich“ hallt nach wie die ultimative Aussage über den traurigen Ausgang einer Liebesbeziehung.
In den Texten ihrer Songs erforscht die Musikerin die Grausamkeiten, die Herzschmerz und verlorene Liebe bereiten. Oft spricht sie ihren Liebhaber in viszeralen Metaphern an, die von emotionaler Gewalt und Masochismus geprägt sind. „Mein Herz wird nicht wachsen, wenn deine Finger in meinem Hals stecken“, heißt es im erwähnten Song „Hanging“. „Du willst mein Blut trinken“, klagt sie im Refrain des Songs „Blood“. Und „Du hast mich Püppchen genannt und mir die Haare abgeschnitten/Dann hast du mir die Flügel gestutzt und ich wurde schlaff“, singt sie in „The Yellow Mine“. Vieles davon wird als Anklage mit vernichtendem Blick vorgetragen.
Auch klanglich ist dies Hackmans dunkelstes und schwerstes Album. Dezente Klavierminiaturen und krachende Gitarrenriffs stehen neben einschmeichelnden Preziosen. Mit Ausnahme der Bläser und Streicher hat die Britin alle Instrumente selbst eingespielt und das Album zusammen mit den renommierten Produzenten Sam Petts-Davies und Charlie Andrew produziert.
BIG SIGH ist ein kühner Spagat zwischen Dramatik und Zärtlichkeit, der eine gereifte Musikerin zeigt.
Tour:
11 Apr 2024 Do 20:00 BERLIN
12 Apr 2024 Fr 20:00 HAMBURG Molotow
14 April 2024 So 20:00 KÖLN artheater