Abergläubische Schauspieler sprechen lieber vom „Schotten-Stück“, anstatt Shakespeares „Macbeth“ beim eigentlichen Titel zu nennen, weil sie befürchten, dass die Premiere ein Misserfolg werden oder ihnen ein persönliches Unglück entstehen könnte. Justins Kurzels heute in den deutschen Kinos angelaufener Film „Macbeth“ ist in mancher Hinsicht schottischer als alle die seiner Vorgänger. Die rauen Highlands sind fast immer im Bild. Die männlichen Darsteller tragen zumeist struppige rötliche Bärte und sprechen ihre Texte in der englischen Originalfassung mit einem schottischen Akzent. Doch trotz dieser schottischen Anflüge wird schnell deutlich, dass Kurzels Film nicht im Schottland des 11. Jahrhunderts, sondern gleichsam in der Hölle spielt.
Kurzel und seine Mitautoren haben den Shakespeare-Text arg gekürzt und bearbeitet; auch sonst wurden manche Änderungen vorgenommen. So beginnt der Film nicht mit dem Auftritt der drei Hexen, sondern mit einer starken, wortlosen Szene, in der Macbeth mit schmerzerfüllter Mine die Augen seines auf einem Geflecht aus Moos und Heide gebetteten toten Sohnes mit Austernschalen verschließt, bevor er den Scheiterhaufen anzündet – ein gespenstig anmutendes Ritual. Minuten später ist die Schlacht, in der Macbeth seinen Wert für König Duncan beweist, kaum ein Zeugnis ritterlicher Tapferkeit und charismatischer Führung. Macbeth mit blauen Kriegsfarben bemalten Truppen schlagen auf ihre Gegner ein, als wären sie ein Haufen lärmender betrunkener Hooligans. Nach der Schlacht sieht man, wie ein Hund sich an dem Leichnam eines gefallenen Kriegers schadlos hält, während Macbeth und sein Waffengefährte Banquo auf dem gefrorenen Boden schlafen. Wenig später bewirten Macbeth und Lady Macbeth den für die gewährte Gastfreundschaft seines Vetters dankbaren König nicht in einem schönen Schloss, sondern in einer eher schlichten, einem Heidemoor gelegenen und von Palisadenzäunen umsäumten Zeltstadt. Der Wind pfeift, Donner grollt und der Nebel wabert allenthalben mehr als in einem ganzen Jahrzehnt klassischer Horrorfilme aus den renommierten Hammer-Studios. Nein, dies ist nicht Schottland im 11. Jahrhundert, in dem es im Übrigen noch keine oder kaum aus Steinen gebaute Burgen gab, sondern der Vorhof zur Hölle.
Justin Kurzel, dem australischen Regisseur von „Die Morde von Snowtown“ ist mit seiner Adaptation von „Macbeth“ ein großartiger, visuell opulenter Film gelungen, der, um die Hexen zu zitieren „blutig, kühn und fest ist und alle Toren auslacht.“ Ein gewaltiger vor Blut und Dreck starrender Antikriegsfilm über einen traumatisierten, der ewigen Gewalt überdrüssigen Krieger, der sich durch seine falsche Deutung der Prophezeiung der Hexen, er werde König werden, zum Meuchelmord an seinem Lehnherrn hinreißen lässt.
Formal hat sich Kurzel dabei einer eindrucksvollen Bildersprache bedient, die der stilisierten Unmittelbarkeit der Graphic Novel entlehnt ist. Die kolossalen Blutströme und brutale Gewalt erinnern an die rohe Körperlichkeit eines früheren Fassbender-Films, „300“, vielleicht mit Ausnahme der übergroß klaffenden gezackten Wunden, die an die Stelle der Waschbrettbäuche der spartanischen Krieger getreten sind.
Kurzel lässt nichts unversucht, um jede einzelne Szene seiner düsteren Vision möglichst noch albtraumhafter als die vorherige zu machen, lässt gar eine Zombieprozession aufmarschieren und verkehrt die Prophezeiung der Hexen, Macbeth habe nichts zu befürchten, solange der Wald von Birnam nicht nach Dunsinane komme, in eine düstere, beklemmende Apokalypse.
Ohne Zweifel gehört Kurzels „Macbeth“ zu den besten Shakespeare-Verfilmungen seit Baz Luhmanns „Romeo und Julia“. Doch die ständige Dunkelheit der beklemmenden Inszenierung kann, so sehr sie zu beeindrucken vermag, freilich allzu leicht den Blick auf die innere Dynamik der Entwicklung eines Generals verstellen, der seinen eigenen tragischen Sturz herbeiführt. Gewiss, Michael Fassbender spielt mit der ihm eigenen großen Intensität, packt seine Rolle mit zähnefletschender Wildheit an. Er überzeugt als ein Krieger, der des ewigen Mordens müde zu sein scheint. Sein von Narben zerfurchtes Gesicht, die ausgehöhlten leeren Blicke zeigen ihn als einen Mann, der den Tod zu oft gesehen hat. Doch sein Macbeth ist ein mörderischer Wahnsinniger von Anfang an, so dass es im Fortgang des tragischen Geschehens keinen großen Unterschied macht, wenn er von Szene zu Szene immer manischer und mordlustiger wird. So erscheint in Kurzels bild- und blutgewaltigen Vision eines lodernden Purgatoriums der heimtückische Mord an König Duncan, dem Macbeth ewige Lehnstreue geschworen hat, schon fast wie eine Zwangsläufigkeit. Auch Marion Cotillard brilliert als Lady Macbeth. Wie Macbeth ist sie von der Macht fasziniert und treibt ihren Mann zum Königsmord an. Mit ihrem reptilienhaften Blick und ihrer kühlen Aura einer Lewis-Schachfigur sieht sie nicht so aus, als hätte sie jemals „die Milch der Menschenliebe“ gekostet.
Was man an Kurzels kühnem Filmdrama indessen vermisst, ist das Gefühl, dass sich irgendjemand oder etwas jemals verändert. Dieser „Macbeth“ ist einer ohne Licht und Schatten. Shakespeares komische Szenen, wie der Monolog des Burgpförtners, die bei Shakespeare dem Publikum einen Moment der Erholung von dem grausigen Geschehen gönnen, wurden hier gestrichen. In der Hölle ist kein Platz für Klamauk. Und selbst die Schlussszene deutet an, dass das Blutvergießen gerade erst begonnen hat und kein Ende zu erwarten ist. Am Schluss des Films tötet Macduff im Zweikampf Macbeth und sichert durch seinen Sieg Malcolms Krone. Doch kaum reitet Malcom in Dunisane ein, tritt eine kleine Gestalt aus den Rändern des Waldes hervor und stößt auf die Leiche Macbeths. Es ist Fleance, der Sohn des Banquo, der mit seinen kleinen Händen das Schwert des Ursupators ergreift und den Blick fest auf die Mauern der Königsburg richtet. Die Gewalt geht weiter. In Kurzels Schottland sind bereits alle verdammt und entkommen der Hölle nicht.
Macbeth – ein exzellenter, zu tiefst pessimistischer Film.
ab 29.10.2015 im Kino
https://youtu.be/4u6gQVoVGsk