Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte Schweigen aus dem Heimatort des Erzählers. Als Said sich nun auf den Weg nach Tira macht, ist der Grund eine ernsthafte Erkrankung des Vaters. Er hat Erfahrung darin, die Geschichten anderer aufzuschreiben und beginnt meist mit der Frage nach den frühesten Kindheitserinnerungen desjenigen, dessen Lebensgeschichte er erzählen will.
Genau diese Frage will er seinem Vater stellen. Aber er will auch die Lücken füllen, die die Zeit geschaffen hat. Über seine Frau und Kinder berichten, will sich aussöhnen mit seinen Eltern und seiner Vergangenheit. Dabei geht er mit seiner Geschichte ebenso um, wie mit denen seiner Kundschaft. Nach Belieben bessert er aus, fügt etwas hinzu, löscht oder schönt seine Erinnerungen. Wie er es bei seinen Kunden getan hat, die am Ende selbst nicht mehr wissen, was an ihren Memoiren stimmt oder erfunden ist.
Nur eins ist wahr, Said fühlt sich in seiner Heimat fremd. Vieles ist hier anders geworden – er selbst ist ein anderer geworden. Seine Sehnsucht, zu seinen Wurzeln zurückzukehren, war in den USA maßlos gewachsen. Doch nun passen all seine Erinnerungen nicht mehr in die Gegenwart des kleinen Dorfes nahe bei Tel Aviv.
Sayed Kashua konfrontiert uns in seinem Roman „Lügenleben“ mit Erinnerungen. Sind diese tatsächlich passiert oder Täuschungen? Wie gerne täuschen wir uns selbst manchmal, lassen wahre albtraumhafte Erlebnisse verschwinden und erfundene an ihre Stelle treten.
Der Verlust der Heimat und die damit verbundenen Traditionen und vor allen Dingen, die Muttersprache nicht mehr sprechen zu können, bedeutet auch, seine Identität neu zu (er)finden. Der Autor, der tatsächlich in die USA emigriert ist und seit 2014 an der University of Illinois lehrt, hat aus Fiktion und wahren Begebenheiten einen lyrischen, sehr beeindruckenden Roman gemacht.
LÜGENLEBEN
SAYED KSAHUA
Übersetzt von: Mirjam Pressler
ISBN 978-3-827-1317-0